Als ich heute zur Arbeit ging blinkte mich von der Ampel ein „Stop Meat“ (rot) und „Go vegan!“ (grün) an, was jemand über die Lichter geklebt hatte. Bento kolumnierte neulich „Schluss mit Höflichkeit: Ab sofort werde ich Fleischesser missionieren“, und in meiner Straße steht fast immer ein Auto mit der Aufschrift der Albert-Schweitzer-Stiftung „Wen streicheln, wen essen?“ mit Bildern von ganz liebreizenden Tieren und Werbung für eine „Vegan Taste Week“. Die Botschaft ist immer dieselbe und sehr eingängig: Veganer sind gut und gesund, Fleischesser unterstützen Massentierhaltung, sind böse und ungesund.
Ich kann nur den Kopf schütteln über eine Welt in der alles schwarz oder weiß sein muss. Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich? Das ist eine Logik, in der offen lügende Politiker zu Regierungschefs gewählt werden: Wir müssen nur emotional entscheiden, die Welt ist einfach, ein kurzer Blick genügt und wir wissen ob wir „dafür“ oder „dagegen“ sind. Mit Verlaub: Die Welt ist alles andere als einfach. Es gibt nicht nur radikale Islamisten und Kreuzritter, sondern nahezu alle Menschen befinden sich (glücklicherweise) ziemlich weit weg von diesen Extremen. Und Emotionen in allen Ehren, aber besser ist es sich zuerst nüchtern die Fakten anzusehen. Und die Fakten sind hier: Vegan ist eher ungesund, zumindest in der derzeit von der Ernährungspyramide empfohlenen Zusammensetzung. Und jetzt haben wir das Dilemma. Fleisch ist unethisch, aber was tun?
Ethik vs. Medizin
Mich erschreckt vor allem die Nonchalance mit der mit der ein ethischer Konflikt verwendet wird um alle medizinischen Überlegungen zu umgehen. Massentierhaltung ist schlecht, also ist Veganismus gut? Leider lässt sich ein ethisches Problem eben nicht einfach in ein gesundheitliches Problem transformieren. Das Problem, ob eine vegane Ernährung gesünder oder ungesünder ist als eine fleischhaltige Ernährung, ist fundamental unabhängig von ethischen Überlegungen. Ein sicherlich extremer Standpunkt: Am gesündesten für die Tiere und Pflanzen auf unserem Planeten wäre es zweifelsohne, wenn die Menschheit von heute auf morgen aussterben würde, oder sich meinetwegen auf ein benachbartes Planetensystem beamt. Aus Sicht der Umwelt wäre es also noch besser gar nichts zu essen als sich vegan zu ernähren, korrekt? Wenn man von derart „gründlichen“ Lösungen absieht, muss man zwei grundverschiedene Fragen stellen:
- Wie können wir uns so ernähren dass es umweltverträglich ist (Ethik und Ökologie)? Industrielle Landwirtschaft mit Pestiziden, chemischen Düngern und Abroden natürlicher Lebensräume ist auch nicht das Gelbe vom Ei, und man darf schon hinterfragen ob dies wirklich besser ist als der Verzehr von artgerecht gehaltenen Tieren, bei denen eine Kuh auf der Wiese aufwächst, Gras frisst und dann nach Schlachtung einen Menschen wochenlang ernährt.
- Welche Nahrungsmittel sind für den Menschen gesund? Hier muss ich die Veganer enttäuschen: Die Wissenschaft unterstützt die These „vegan=gesund“ leider nicht. Es gibt unzweifelhaft viele gesunde vegane Nahrungsmittel, aber das unkritische Ersetzen von Fleisch und tierischen Fetten durch pflanzliche Nahrungsmittel hat uns in die aktuelle Gesundheitsmisere gebracht, in der nahezu alle chronischen Krankheiten exponentiell wachsende Fallzahlen zeigen (wie in meinem Buch ausführlich diskutiert). Hier muss man zumindest etwas Augenmaß dabei beweisen, welche veganen Nahrungsmittel wirklich gesund sind. (Und die als Fleischalternative vermarkteten Veggie-Burger oder -Würste sind oft ein Musterbeispiel für einen ziemlich toxischen Mix aus Emulgatoren, Farb- und Aromastoffen.)
Weg von der industriellen Landwirtschaft
Halten wir zunächst fest: Massentierhaltung ist schlecht. Eine Zivilisation muss sich daran messen lassen wie sie mit den Schwachen umgeht, und eine Welt in der Küken geschreddert werden und jedes Jahr hunderte Hühner für den Hähnchenbrust- und Cordon-Bleu-Bedarf eines einzelnen Menschen sterben müssen wirft ein sehr dunkles Licht auf unsere Gesellschaft. Massentierhaltung ist allerdings nicht nur aus ethischen Überlegungen schlecht, sondern auch aus knallhart gesundheitlichen Gründen: Eine nicht artgerechte Haltung und Fütterung mit Soja und Mais sorgt für eine mindere Qualität des Fleischs. So sinkt z.B. nach Studien der Omega-3-Gehalt von Fleisch massiv wenn die Tiere in Massentierhaltung aufgezogen werden. Und auch die in Soja und Mais enthaltenen Antinährstoffe (Lektine und Isoflavone) finden sich im Fleisch der damit gefütterten Tiere, nicht umsonst schmeckt ein Maishähnchen nach Mais. Von prophylaktisch angewendeten Antibiotika ganz zu schweigen, zusammen mit den Pestiziden und Düngemitteln aus dem Futtergetreide findet sich in Industriefleisch ein Gemisch aus toxischen Chemikalien, die uns schleichend vergiften.
Die traurige Wahrheit ist, dass die Evolution uns fast zu Fleischessern gemacht hat, wir bezogen früher rund zwei Drittel unserer Kalorien aus Fleisch. Wir können über die Konzentration bestimmter Isotope in den Knochen feststellen wie viel Fleisch und Fisch ein Tier konsumierte, und sogar ob andere Fleischfresser regelmäßig auf dem Speiseplan standen. Und der Mensch zu Zeiten der Jäger und Sammler war ganz unzweifelhaft einer der dominanten Fleischfresser, die regelmäßig andere Fleischfresser verspeisten. Paläopathologische Untersuchungen belegen zudem, dass Kulturen die sich überwiegend vegan ernährten (wie z.B. die Egypter zu Zeiten der Pharaonen) immer kurze Lebenserwartungen und extrem hohe Raten an Diabetes und Artherosklerose aufwiesen, wie z.B. Michael Eades ausführt. Und wie das mit der Evolution so ist: Wenn Tiere ihre Nahrungsversorgung grundlegend umstellen, dann führte das früher zu einer erheblichen Ausdünnung der Art. Nur die Tiere die gut an die neuen Nahrungsmittel angepasst waren überlebten, ein Großteil der Art starb, wenn nicht sogar die ganze Art. (Frag die Dinosauriern, die sich auch nicht einfach von anderen Pflanzen ernähren konnten als die Temperatur sank und die bisher als Nahrung dienenden Pflanzen verschwanden.) Beim Menschen ist das heutzutage anders: Die moderne Medizin hält uns am Leben. Wir sterben nicht, sondern werden in immer jüngeren Jahren krank und gleichen die nicht angepasste Nahrung mit einem enormen Aufwand an Chemie aus, so lange bis unser Gesundheitswesen unter der Last der jungen Patienten zusammenbricht. Wer sich die makroskopischen Trends anschaut erkennt ganz klar dass die derzeitige Diabetes- und Autoimmunepidemie vor ca. 50 Jahren begann, als wir tierische Fette, Fleisch und Eier zunehmend durch pflanzliche Fette und Vollkornbrot ersetzten. Nur ein Zufall?
Dazu kommt ein weiteres massives Problem der industriellen Landwirtschaft: Wir benötigen Vitamine und Spurenelemente, die in unserer Nahrung erhalten sind. Eine „natürliche“ Lebensweise führt diese Vitamine und Spurenelemente im Kreislauf bleiben: Die Stoffe werden von den Pflanzenfressern wieder ausgeschieden und dienen als Dünger für Pflanzen. Beí industrieller Landwirtschaft wandern diese Mikronährstoffe über den Menschen in die Kläranlagen und dann in die Flüsse bzw. Weltmeere, aber sie kommen nicht zurück auf die Felder. Das Problem potenziert sich wenn Getreide/Soja als Futter für Masttiere verwendet wird, da so die Böden noch schneller ihre Mikronährstoffe verlieren. Schon heute hat Gemüse und Obst weniger als halb soviele Mikronährstoffe wie noch vor 60 Jahren — verwundert es dass wir mit zunehmendem Alter krank werden, wenn unser Körper die Mikronährstoffe nicht mehr so effizient extrahiert wie bei jungen Menschen? Hier ist tatsächlich eine (artgerechte) Tierhaltung von enormen Vorteil, da die Mikronährstoffe in Fleisch meist besser bioverfügbar sind als in Pflanzen, und wir somit geringere Mengen brauchen um unseren Bedarf zu decken.
Ist vegetarische Ernährung gesund?
Ich bin kein Verfechter einer Carnivor-Diät, und die Tatsache dass wir Allesfresser sind lässt vermuten dass wir uns gesund mit einem vergleichsweise hohen Anteil an veganer oder vegetarischer Nahrung ernähren können. Allerdings muss ich auch darauf hinweisen dass es keine einzige Langfrist-Studie zur Gesundheit veganer oder vegetarischer Ernährungen gibt. Zu Zeiten von Ancel Keys, dem Vater der fettarmen Ernährung, machte man sich schlichtweg keine Gedanken darüber ob eine pflanzliche, kohlenhydratreiche Ernährung ungesund sein könne — man glaubte nur dass Fett ungesund ist, also mussten im Umkehrschluss Kohlenhydrate gesund sein. Dies sollte später durch Studien belegt werden, schlug aber immer und immer wieder grandios fehl, wie z.B. die im letzten Blog erwähnte MRFIT-Studie zeigt: Die Sterblichkeit steigt wenn tierische Fette und Fleisch durch pflanzliche Fette und Kohlenhydrate ersetzt werden. Es bleibt also nur die Frage ob dies allgemeingültig ist, oder durch die spezielle Zusammensetzung der empfohlenen Ernährung zustande kommt. Wird vegan bzw. vegetarisch gesund wenn wir auf Omega-6 und Kohlenhydratexzesse verzichten? Die Antwort auf diese Frage steht noch aus.
Allerdings fällt es mir schwer zu glauben dass eine rein vegane Ernährung langfristig gesund sein soll. Immerhin benötigen wir eine gewisse Menge an Aminosäuren, die in Pflanzen in der falschen Mischung enthalten sind (die Gesamtmenge an Protein ist problemlos erreichbar, aber einige der vielen notwendigen Aminosäuren sind nur in geringen Mengen enthalten), und wir benötigen fettlösliche Vitamine die kaum in pflanzlicher Nahrung enthalten sind (Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D). Zudem ist vegane Ernährung meist sehr kohlenhydratreich. Dies manifestiert sich nur langsam, bis es zu echten Mangelerscheinungen kommt werden einige Jahre oder Jahrzehnte vergehen. Und ich glaube gerne dass eine vegane Ernährungsumstellung kurzfristig sogar zu einem verbesserten Wohlbefinden führt, und genau das ist das Problem: Wenn sich nach vielen Jahren die Folgen in Form von Autoimmunkrankheiten oder Diabetes zeigen, dann führt man das nicht auf die vegane Ernährung zurück die uns damals so gut tat.
Wie kann man sich dann noch ernähren wenn man kein Ethikschwein sein will? Eine gesunde vegetarische Ernährung ist problemlos machbar. Der Speiseplan enthält dabei genügend tierisches Protein aus Eiern und Milchprodukten aus nachhaltiger Landwirtschaft um den Tagesbedarf an Eiweiß zu decken, sowie eine Kombination von verschiedenen Fetten, in denen Milchfett aus Weidemilch (Butter/Schmalz) und Olivenöl einen Großteil der Kalorien liefern. Bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln muss der Fokus auf den Produkten liegen die — individuelle Unverträglichkeiten berücksichtigend — arm an Antinährstoffen wie Lektinen, Oxalaten, FODMAPs und Isoflavonen sind, zudem müssen wir die Menge der Omega-6-Fettsäuren reduzieren. Getreide, Nudeln und Brot sind reich an Lektinen und Omega-6-Fettsäuren und dürfen nicht in großen Mengen konsumiert werden. Und wir dürfen auf die Forschung hoffen: Möglicherweise sind einige Algenarten DAS gesunde und ethisch verträgliche Lebensmittel der Zukunft, immerhin sind Algen evolutionär weder Tier noch Pflanze.
Den militanten Veganern möchte ich die Worte von H.L. Mencken in Erinnerung rufen: „There is always an easy solution to every human problem: Neat, plausible, and wrong.“ („Es gibt immer eine einfache Lösung für jedes Problem der Menschheit: Elegant, plausibel und falsch.“) Das Problem der Massentierhaltung müssen wir lösen, aber sich vegan zu ernähren ist leider die falsche, einfache Antwort.