Funktionelle, ganzheitliche oder ursachenzentrierte Medizin?

Eine kleine Suche auf Wikipedia nach verschiedenen Medizinbegriffen ergibt ein trauriges Ergebnis. „Funktionelle Medizin“ gibt es nicht, der Eintrag für „ganzheitliche Medizin“ enthält überwiegend Geschwafel. Auf der englischsprachigen Wikipedia wird funktionale Medizin sogar mit Quacksalberei gleichgesetzt: „Functional medicine is a form of alternative medicine that encompasses a number of unproven and disproven methods and treatments. […] It has been described as pseudoscience, quackery, and at its essence a rebranding of complementary and alternative medicine.

Besonders der englische Eintrag schlägt mir auf den Magen. Zwischen den beiden oben zitierten Sätzen steht etwas, das als nahezu korrekte Definition durchgehen mag: „Its proponents claim that it focuses on the ‚root causes‘ of diseases based on interactions between the environment and the gastrointestinal, endocrine, and immune systems to develop ‚individualized treatment plans‘.“. Auf Deutsch: Es geht darum, die individuellen Ursachen von Krankheiten zu finden und zu beseitigen. Und dies ist der Kern der funktionellen oder ganzheitlichen Medizin. Eine Abgrenzung zur klassischen Medizin ist weder notwendig noch sinnvoll.

Das große Problem an dieser Begrifflichkeit ist, dass die funktionelle Medizin tatsächlich nahezu von Quacksalbern „gekapert“ wurde. Im englischen und deutschen Sprachraum findet man zu „ganzheitlicher Medizin“ jede Menge dubiose bis grob kriminelle Praktiken, die sich nur wenig von mittelalterlichen Warzenbesprechungen und Teufelsaustreibungen unterscheiden. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich hervorragende Mediziner, die klassische Medizin mit ganzheitlicher Medizin verbinden.

Vielleicht benötigen wir einen neuen Begriff, um uns von Quacksalbern abzugrenzen. Mein persönlicher Vorschlag dafür wäre „ursachenzentrierte Medizin“.

Ursachenzentrierte Medizin

Die klassische Medizin hat beeindruckende Erfolge vorzuweisen. Sie funktioniert meist hervorragend bei akuten Erkrankungen, denn dort wird die Ursache behandelt: Ein Knochenbruch oder Bänderriss wird chirurgisch behandelt, eine lebensgefährliche bakterielle Infektion wird mit Antibiotika behandelt. Nicht die Symptome (Schmerzen bzw. Fieber), sondern der Auslöser der Krankheit wird therapiert.

Bei der Behandlung chronischer Krankheiten ändert sich das Bild. Anstelle die Ursache zu beseitigen, behandeln wir Sympome. Betrachten wir z.B. Diabetes: Das Leitsymptom von Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes ist gleich (die Glukosespiegel im Blut sind überhöht), und die Behandlung ist (oft) gleich, wir spritzen Insulin. Die Ursachen sind allerdings verschieden, was sich über einen Blick auf den Insulinspiegel leicht unterscheiden lässt:

  • Bei T1D produziert die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin. Ein Typ-1-Diabetiker bekommt Insulin um zu überleben.
  • Bei T2D produziert die Bauchspeicheldrüse noch Insulin , das Insulin reicht aber aufgrund von Insulinresistenz nicht aus. Erst später verliert die Bauchspeicheldrüse die Fähigkeit zur Insulinproduktion graduell. Deshalb ist bei T2D eine Behandlung mit Insulin kontraproduktiv (wenn die Bauchspeicheldrüse noch Insulin produziert) und die Insulinresistenz muss behandelt werden, denn überhöhte Insulinspiegel richten viel Schaden an. (Dieses Thema ist allerdings komplex und umstritten. Schaut in das Diabetes-Kapitel in meinem Buch für eine ausführliche Diskussion.)

Das Problem bei chronischen Krankheiten ist, dass sich die Ursache nicht aus den Symptomen ableiten lässt. Bei einer bakteriellen Infektion sind charakteristische Entzündungsmarker erhöht, die Ursache (Vorhandensein von Bakterien) lässt sich sicher feststellen. Ein gebrochenes Bein lässt sich per Röntgenbild diagnostizieren. Bei Demenz, Gicht oder Diabetes geht das nicht: Wir können die Krankheit diagnostizieren (kognitive Ausfälle, erhöhte Harnsäure und erhöhter Blutzucker), aber nicht die Ursache.

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Leider lernen Ärzte in ihrer Ausbildung primär, welche Medikamente bei welchen Symptomen anzuwenden sind. Die Ursachenforschung bleibt auf der Strecke.

Medikamente können bei vielen chronischen Krankheiten die Symptome lindern, aber nicht die Krankheit heilen. Zudem führen sie oft zu Nebenwirkungen, die mit weiteren Medikamenten behandelt werden müssen. Heilen lässt sich eine chronische Krankheit aber nur durch Therapie der Ursache. Ein Vergleich: Wenn ein Auto Öl verliert, ist das Nachfüllen von Öl eine symptomorientierte Behandlung, die das Symptom möglicherweise lange Zeit gut beseitigt. Es gibt aber Nebenwirkungen (Umweltverschmutzung) und ein nicht unwesentliches Risiko, dass der Ölverlust mit der Zeit stärker wird und das Auto ganz kaputt geht. Eine ursachenzentrierte Behandlung wäre es, das Auto in die Werkstatt zu bringen.

Ein Beispiel: Sodbrennen

Nun sind Vergleiche billig und hinken oft, deshalb ein konkretes, medizinisches Beispiel: Sodbrennen entsteht, wenn Magensäure in die Speiseröhre fließt. Bei chronischem Sodbrennen funktioniert der Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Magen nicht mehr zuverlässig, die Magensäure fließt häufig in die Speiseröhre und verätzt sie. Die dadurch entstehenden Entzündungen sind sehr schmerzhaft und können zu Vernarbung und Krebs führen, müssen also behandelt werden.

Die Antwort der symptomzentrierten Behandlung ist eine Absenkung der Magensäure durch Protonenpumpeninhibitoren (PPIs: Omeprazol, Pantoprazol u.ä.). Dies ist bei gelegentlichem Sodbrennen eine passable Behandlung, allerdings eine fatale Sackgasse bei chronischem Sodbrennen:

  • Die Magensäure wird zwar stark vermindert, der Verschluss zwischen Magen und Speiseröhre bleibt aber gestört. Selbst eine verminderte Magensäure kann Sodbrennen auslösen.
  • Schlimmer ist die Beeinträchtigung der Verdauung. Wir benötigen einen sehr „sauren“ Magen, um Nahrung korrekt zu verdauen und Vitamine/Spurenelemente aufzunehmen. Zudem ist die Magensäure ein wichtiger Verteidigungsmechanismus gegen Viren, Bakterien und Pilze, die wir zwingend mit der Nahrung konsumieren. Und schlussendlich führt verminderte Magensäure zu einer Fehlbesiedelung der Darmbakterien, des sogenannten Mikrobioms.

Die langfristigen Folgen der PPI-Behandlung sind leider noch nicht gut erforscht, da PPIs erst seit Ende der 80er Jahre bekannt sind. Inzwischen gehören sie zu den umsatzstärksten Medikamenten und werden nahezu wie Bonbons verschrieben, in Deutschland derzeit fast 4 Milliarden Tagesdosen pro Jahr. Mehr als 10% der Deutschen nehmen täglich PPIs.

Langfristige Folgen

Und tatsächlich funktionieren PPIs erst einmal sehr gut, und sind praktisch nebenwirkungsfrei. Dank guter kurzfristiger Verträglichkeit verzichtete man auf langfristige Studien. Die langfristige Bilanz ist dagegen katastrophal, und nach meiner persönlichen Ansicht könnten sich PPIs als der zweitschlimmste Fehlschlag in der Behandlung chronischer Krankheiten herausstellen (nach Statinen):

  • PPIs führen mindestens zu Defiziten an Vitamin B12, Calcium und Eisen. Weitere Defizite werden vermutet.
  • Dies kann zu einer ganzen Reihe von Krankheiten führen. Die Apotheker-Zeitung verweist auf Demenz, Atherosklerose, häufige Knochenbrüche und viele weitere Krankheiten (vgl. die dort verlinken Studien). Einiges davon ist umstritten, da die Studienlage widersprüchlich ist. Aber selbst wenn sich nur wenige dieser Vermutungen bestätigen, dürfte sich eine Dauerbehandlung mit PPIs als stark gesundheitsschädlich herausstellen.
  • PPIs lassen sich nach langer Einnahme kaum wieder absetzen, da es zu einem „Rebound“ mit stark erhöhter Magensäureproduktion kommt.
    Die Geister, die ich rief…

Die Alternative

Die PPI-Behandlung geht vollständig an der Ursache vorbei. Der Verschluss zwischen Magen und Speiseröhre wird nicht repariert, eine Absenkung der Magensäure ändert das nicht. Die Mechanismen für Sodbrennen sind zwar nicht vollständig erforscht, es gibt aber zahlreiche Hinweise dass Sodbrennen eine Folge von überhöhtem Kohlenhydratkonsum und dem metabolische Syndrom ist. Ein direkter Zusammenhang zwischen Kohlenhydratkonsum und Stärke des Sodbrennens ist bekannt. Der vermutete Mechanismus: Entzündungen, erhöhte Harnsäurespiegel und mangelndes Adiponectin (klassische Folgen des MetS) schädigen das Bindegewebe. Dazu kommt die erhöhte Säureproduktion als Reaktion auf Konsum von Zucker und kurzkettigen Kohlenhydraten.

Die Therapie ist offensichtlich: Eine Umstellung auf kohlenhydratarme Kost beseitigt Sodbrennen nachhaltig und dauerhaft. In einer Studie wurden 144 fettleibige Frauen (BMI zwischen 30 und 40) auf eine ketogene Ernährung umgestellt. Nach 10 Wochen waren alle 144 Frauen frei von Sodbrennen und hatten alle Medikamente abgesetzt. Das ist bemerkenswert: Ein Verschwinden der Krankheit bei 100% der Patienten dürfte bisher keine einzige Studie mit medikamentösen Therapien erreicht haben. Die Funktion des Schließmuskels wurde wohlgemerkt wiederhergestellt, denn eine ketogene Ernährung führt eher zu verstärktem Magensäureausstoß. Der erhöhte Fettkonsum ist völlig unproblematisch, da es keinen Zusammenhang zwischen Fett und Sodbrennen gibt. Ein Musterbeispiel für ursachenzentrierte Medizin, der Krankheitsauslöser wird beseitigt.

Diabetes

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Es ist leicht messbar, dass die ursachenzentrierte Medizin bei vielen Krankheiten dramatisch besser ist als die symptomzentrierte Behandlung. Zurück zur Diabetes: Eine leitliniengerechte, symptomorientierte, medikamentöse Behandlung von Typ-2-Diabetes führt innerhalb von 7 Jahren nur bei 1,47% zu einer teilweisen Remission (HbA1C ohne medikamentöse Therapie unter 6,4). Die ursachenzentrierte Behandlung mittels Kohlenhydratrestriktion (Diabetes ist eine Fehlregulation des Glukosehaushalts, und wir können ohne gesundheitliche Probleme den Glukosekonsum um 90% reduzieren) erreicht dagegen eine Quote von rund 60%.

Die letzte Waffe der symptomzentrierten Medizin ist bariatrische Chirurgie, die eine ähnliche „Erfolgsrate“ bei Diabetes hat. Die Risiken sind allerdings erheblich: Einer von 300 Patienten stirbt an den Folgen der Operation, bei bis zu 17% kommt es zu Komplikationen. Nach wenigen Jahren kommt es zu erheblichen Nährstoffdefiziten, die Patienten müssen für den Rest ihres Lebens Nahrungsergänzungsmittel nehmen. Die Folgen sind Depressionen und eine vierfach erhöhte Selbstmordrate, andere Folgekrankheiten werden derzeit noch erforscht. Dabei nehmen viele Patienten nach einigen Jahren wieder zu.

Die Effektivität einer Low-Carb-Behandlung bei Diabetes ist seit mehr als 20 Jahren aus wissenschaftlichen Studien bekannt. Dennoch bekämpfen medizinische Organisationen Ärzte, die eine Kohlenhydratreduktion bei Diabetes empfehlen, hart – bis hin zu Berufsverboten. Die Verachtung, die klassische Mediziner gegenüber nicht-medikamentösen Behandlungen zeigen, trägt eine Mitschuld an der derzeitigen Diabetes-Epidemie.

Die in den Beispielen genannten Behandlungsmethoden sind keinesfalls Wundermittel. Es gibt einige Patienten, bei denen Kohlenhydratrestriktion weder Diabetes noch Sodbrennen beseitigt. Hier müssen andere, oft medikamentöse Behandlungsmethoden angewendet werden. Aber ein Arzt wird immer zuerst die Therapie verwenden, die am erfolgversprechendsten bei geringsten Nebenwirkungen ist. Hier ist das die Ernährungsumstellung, alternative Therapien und Medikamente sind zweite Wahl.

Ebenso gibt es viele Krankheiten, die sich nur medikamentös behandeln lassen – teils weil wir die Ursache (noch) nicht kennen, teils weil wir sie nicht korrigieren können. Bei vielen Krankheiten müssen wir mehr Ursachenforschung betreiben, um hoffentlich schonendere Behandlungsmethoden zu finden.

Nun sag, wie hast du’s mit der Wissenschaft?

Aus obigen Beispielen (von denen es noch viel mehr gibt) dürfte klarwerden, dass die ursachenzentrierte Medizin keinesfalls unwissenschaftlich ist und nicht im Widerspruch zur klassischen Medizin steht. Ganz im Gegenteil: Die Diagnose der Ursache ist harte Wissenschaft und benötigt den Einsatz aller bekannter diagnostischer Mittel. Ebenso muss ein plausibler biologischer bzw. chemischer Mechanismus bekannt sein, der den Zusammenhang zwischen Ursache und Symptom herstellt. Eine effektive und nebenwirkungsfreie Behandlung kann nur erfolgen, wenn die Effektivität und Verträglichkeit mittels Studien nachgewiesen wurde. Die Wirkung ist zu 100% messbar und nicht subjektiv.

An der Messbarkeit scheitern natürlich alle Wunderheiler. Wer etwa mit Magnetfeldtherapien oder Energieströmen „behandelt“, kann nichts messen oder erklären (auch wenn es eine gängige Praxis ist, möglichst komplizierte wissenschaftliche Begriffe zur Verwirrung der Patienten zu verwenden). Das hat nichts mit funktionaler Medizin zu tun. Dennoch sind es gerade diese „Heiler“, die am häufigsten die ganzheitliche Medizin im Munde führen – und von der klassischen Medizin kommt kein Gegenwind.

Und natürlich wird ein ursachenzentriert arbeitender Arzt oft die klassische Medizin anwenden. Sodbrennen wird (zuerst) mit Ernährungsumstellung behandelt, eine gefährliche bakterielle Infektion (zuerst) mit Antibiotika.

Ursachenzentrierte Medizin ist die Zukunft, und nicht eine Erfindung von Spinnern, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern.

Mikronährstoffe, Diäten und Übergewicht

Ein Abstecher in die Corona-Welt

Vorgestern erreichte mich tatsächlich per WhatsApp die erste vollständig ernst gemeinte Verschwörungstheorie: Bill Gates ist es, der uns allen mittels Zwangsimpfungen einen Chip einpflanzen will. COVID-19 wurde nur aus diesem Grund synthetisch entwickelt und schon vor Jahren patentiert. Aha. Was denn dieser Chip anstellen solle war mir dann nicht klar — werden wir alle zu Borg? Eingebettet in die Theorie war übrigens auch der Hinweis, dass ich ganz alleine an meiner Krankheit ME/CFS schuld wäre. Immerhin habe die Autorin mir schon vor langer Zeit die „chinesische Quantum-Methode“ (CQM) empfohlen, die alle meine Beschwerden geheilt hätte. (Die Methode schien mir übrigens nicht chinesisch zu sein, und ich konnte keinen Zusammenhang mit Quanten oder Quantenphysik erkennen. Stattdessen sah ich nur eine wenig überzeugende 08/15-Wunderheilung. Vielleicht haben mich ein paar Semester Physikstudium verblendet.)

Nun kann und will ich alle diese Theorien nicht widerlegen. (Welche Beweise kann ich erbringen, dass kein fliegendes Spaghettimonster existiert? Das ist nicht möglich, egal wie schlau ich es anstellen will.) Fehlende Falsifizierbarkeit ist die Grundlage vieler esoterischer Behandlungsansätze. Ich bin Naturwissenschaftler und halte mich lieber an Methoden, die ein objektives Maß für den Erfolg haben. Der Erfolg einer Behandlung muss messbar sein, und dann können wir sie mit Studien bewerten und mit anderen Behandlungsmethoden vergleichen. Ein HbA1c ist 5,6 oder 6,5 oder was auch immer, aber wenn er durch eine Intervention gesenkt wird dann ist das gut.

Schwierig wird die Sache, wenn Parameter schwer zu messen sind. Der Eisengehalt im Gehirn lässt sich nur per Autopsie bestimmen, zum Leidwesen aller Restless-Legs-Patienten. Ebenso mag es messbare Größen geben, die wir heutzutage noch nicht messen können. Vor 200 Jahren hätten wir den HbA1c noch nicht bestimmen können. Dennoch: Liebe Leute, lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Wunderheilungen existieren nicht.

Zudem ist es schon sehr komisch, dass fast immer jemand gut an diesen kruden Theorien verdient. Für die CQM finden mehrmals im Monat Seminare statt, mit schlappen 1190,-€ pro Teilnehmer — und Absolventen verdienen eine Provision wenn sie neue Teilnehmer anschleppen. Die aggressive Vermarktung des Coachings erinnert mich an das inzwischen fast ausgestorbene Vertretertum für nutzlose Haushaltsgeräte und Lexika, offensichtlich auch heutzutage noch eine gute Einnahmequelle für die Hersteller. Natürlich kommen esoterische Therapien nicht mit 14-Tage-Geld-zurück-Garantien. Wenn die Therapie nicht anschlägt, dann ist im Zweifelsfall der Patient schuld. Deshalb eignen sich krude Theorien heutzutage besser für den aggressiven Direktvertrieb als Küchenmaschinen.

Low Carb vs. Low Fat, eine neue Studie

Aber zurück zur Ernährung. Dieser Tage stolperte ich über ein Preprint einer neuen Studie, in der fettarme und kohlenhydratarme Ernährung verglichen wird. Bevor ich die Studie verreiße, möchte ich eins klarstellen: Wenn jede Ernährungs-Studie so akribisch dokumentiert wäre, dann wären wir nicht in der heutigen Ernährungs-Misere. Ich erkenne ganz genau was mit den Teilnehmern gemacht wurde, und welche Ergebnisse dies hatte.

Der Titel der Studie lautet „A plant-based, low-fat diet decreases ad libitum energy intake compared to an animal-based, ketogenic diet“ (eine pflanzenbasierte, fettarme Ernährung senkt die Energieaufnahme gegenüber einer tierbasierten ketogenen Ernährung) und schlussfolgert „ad libitum energy intake was 689±73 kcal/d lower during the PBLF diet as compared to the ABLC diet […]. These data challenge the veracity of the carbohydrate-insulin model of obesity and suggest that the PBLF diet had benefits for appetite control whereas the ABLC diet had benefits for lowering blood glucose and insulin.“ (Die Richtigkeit des Kohlenhydrat-Insulin-Modells wird angezweifelt, der Appetit sank nicht unter ketogener Ernährung.) Die Teilnehmer waren nicht kalorienbeschränkt, und die fettarme Ernährung (PBLF) führte zu geringerer Energieaufnahme als die ketogene Ernährung (ABLC).

Der erste offensichtliche Fehltritt ist, dass überhaupt auf die Energieaufnahme geschaut wird. Das Dogma, dass die Kalorienaufnahme wichtig ist und jede Kalorie zu viel als Fett angelegt wird, ist längst widerlegt. Wen interessiert es, ob ich 2.000 oder 5.000 Kalorien am Tag esse, solange das gewünschte Ergebnis (Gewicht, Fettanteil, metabolische Gesundheit) erzielt wird? Klar ersichtlich war übrigens, dass die Probanden unter einer Low-Carb-Ernährung mehr Energie verbrauchten. Sie aßen 689 Kalorien am Tag mehr, aber sie verloren Gewicht. Darin einen Vorteil der fettarmen Ernährung zu sehen ist schon gewagt.

Der zweite Fehltritt ist der sehr hohe Anteil an Omega-6-Fetten in der ketogenen Ernährung. Gesunde Ernährung wird nicht durch das Verhältnis von Fett und Kohlenhydraten definiert, sondern die Frage „welches Fett“ (billiges Pflanzenöl oder tierische Fette) ist genauso wichtig wie die Frage „welche Kohlenhydrate“ (ganz offensichtlich macht es einen Unterschied, ob man 200g Zucker oder 200g Vollkornbrot isst). Auch auf Antinährstoffe wurde nicht geachtet, die verwendeten Mahlzeiten waren reich an Lektinen.

Low-Fat verliert gegen Low-Carb?

Warum rede ich noch weiter über diese Studie? Beim näheren Hinsehen finde ich ein sehr viel interessanteres Ergebnis: Die Gewichtsabnahme in der Low-Fat-Gruppe war zwar etwas geringer als in der Low-Carb-Gruppe, aber unter ketogener Ernährung verloren die Probanden vor allem Wasser und nur minimal Fett, während in der Low-Fat-Gruppe etwas Fett (ca. 600-700g) abgebaut wurde. Wie kann das sein? Dafür müssen wir uns das Experiment im Detail anschauen: Jeder Teilnehmer aß 2 Wochen ketogen und 2 Wochen fettarm, die Reihenfolge (erst ketogen oder erst fettarm) wurde zufällig bestimmt. Zudem wurden jedem Teilnehmer 5 Mahlzeiten am Tag serviert, 3 Hauptmahlzeiten und 2 Snacks.

Nun sind 2 Wochen ein viel zu kurzer Zeitraum, um die Auswirkungen einer Ernährungsumstellung zu bewerten. Der Körper benötigt bis zu 3 Wochen, um sich auf ketogene Ernährung umzustellen. (Je schwerer die metabolischen Schäden, desto länger dauert die Umgewöhnung. Kinder schaffen das in einer einzigen Nacht.) Ein Gewichtsverlust in den ersten Wochen ist primär ein Wasserverlust, der leicht etliche Kilo ausmachen kann. Ein anderer Grund für einen mangelnden Fettverlust ist aber auch die Häufigkeit der Mahlzeiten: Unter ketogener Ernährung stellen sich fast alle Menschen schnell auf 3 oder weniger Mahlzeiten pro Tag um. Zwischenmahlzeiten lassen wir weg. Der Fettabbau erfolgt durch die längeren Fastenzeiten, in denen körpereigenes Fett abgebaut wird.

Insofern können wir ein interessantes Zwischenergebnis festhalten: Wenn wir häufig genug essen, dann führt ketogene Ernährung führt nicht zwingend zum Abnehmen, zumindest in den ersten 2 Wochen. Ebenso können wir in den ersten zwei Wochen mit fettarmer Ernährung gut abnehmen (sofern wir insulinsensitiv sind, was man bei den jungen und nur moderat übergewichtigen Teilnehmern dieser Studie annehmen kann).

Mikronährstoffe

Des Pudels Kern ist womöglich ein anderer Effekt. Ich selber habe früher unzählige Abnehmversuche mit einer fettarmen Ernährung gemacht. Die ersten Wochen gingen immer prima, aber nach 3-4 Wochen wuchs mein Appetit ins Unermessliche. Irgendwann kam entweder ein regelrechter Heißhunger, oder ich beendete die Diät. Wie kam es dazu? Die Ursache ist möglicherweise ein Defizit an Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe und essentielle Aminosäuren) in der Diät.

Bekannt ist, dass übergewichtige Menschen oft Defizite an Mikronährstoffen haben. Früher beobachtete man dies vor allem nach Adipositaschirurgie. Inzwischen weiß man aber, dass schwer übergewichtige Menschen schon vor dem Eingriff Defizite haben. Ich kenne auch Spekulationen, wie Defizite zu Übergewicht führen könnten. Sie beeinflussen z.B. die Empfindlichkeit für Leptin (ein Sättigungshormon).

Allerdings hat meines Wissens niemand die naheliegende Frage untersucht, welche Folge Mikronährstoffmangel auf den Appetit hat. Dabei werden wir maßgeblich durch solche Mängel gesteuert: Wer Salzverlust hat (z.B. nach einer durchzechten Nacht), benötigt salzhaltiges Essen. Unser Appetit auf bestimmte Lebensmittel (wie einige Gemüse oder Nüsse) schwankt stark von Tag zu Tag. Weshalb?

Mir scheint es naheliegend, dass unser Hunger/Appetit (bis zu einem gewissen Grad) durch die Balance der Mikronährstoffe gesteuert wird. Die Urmenschen hatten keine Tabellen für empfohlene Mindestmengen, aber sie waren trotzdem nicht defizität an Mikronährstoffen: Wenn Magnesium fehlte, bekamen sie Appetit auf magnesiumhaltige Nahrungsmittel. Wenn zu viel Salz oder Kalium im Körper war, bekamen sie Durst und die Nieren schieden die überschüssigen Mengen aus. Appetit/Hunger gleicht Mängel aus, Überschüsse werden ausgeschieden. Das funktioniert nicht immer: Bei Zucker ist ein „je mehr, desto besser“ evolutionär fest verdrahtet. Die Menschen mit den dicksten Fettpolstern verhungern zuletzt im Winter. Aber bei den vielen Nährstoffen, die eine U-förmige Optimalverteilung haben (zuviel und zuwenig ist beides schlecht) dürfte die Regulierung so funktionieren.

Dies würde einiges erklären: Menschen mit Mikronähstoffmangel sind (auch) deshalb dick, weil sie viel mehr essen als sie von der Energiebilanz brauchen. Der Körper will nicht nur den Bedarf an Zucker oder Fett, sondern auch an Vitaminen decken. Anders herum scheitern deshalb Diäten: Viele populäre Diäten zur Gewichtsabnahme sind defizitär in vielen Mikronährstoffen. In den ersten Wochen fällt dies nicht weiter auf. Aber je länger wir die Diät einhalten, desto stärker signalisiert unser Gehirn: Wir brauchen mehr! Wir bekommen Heißhunger und essen mehr, als wir zur Deckung unseres Energiebedarfes benötigen — wir bauen Fettpolster auf. Dies mag bei einer zeitlich begrenzten Diät, die man nur für 2 Wochen einhalten muss, nicht weiter stören. Aber es ist ein fatales Problem in Ernährungen, die man langfristig einhalten will.

Kurze Studien: Ab in die Tonne!

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis: Studien zur Ernährung sollten die ersten 1-2 Monate ignorieren. Saubere Ergebnisse erhält man, wenn man die Teilnehmer über 2 Monate auf die neue Ernährung einstellt, und die Veränderungen danach betrachtet. Die Ergebnisse kürzerer Studien können bestenfalls Prozesse im Umstellungsprozess auf eine anderen Zusammensetzung der Nahrung untersuchen.

Die andere Lektion, die in dieser Geschichte versteckt ist: Wenn wir die erwarteten Ergebnisse bekommen, dann bestätigt das unser Weltbild. Aber wenn ein Ergebnis nicht so ist wie wir es erwartet haben (die Low-Carb-Fraktion verlor weniger Fett), dann gewinnen wir neue Erkenntnisse: Ein genaueres Hinsehen lohnt sich. (Hätten sich die Autoren doch diese Mühe gemacht!)

Das Kohlenhydrat-Insulin-Modell wird durch diese Studie keinesfalls widerlegt. Und ich habe wieder etwas verstanden, was mir vor dem Lesen der Studie nicht klar war. Meine Welt ist gerade heil 🙂

Bleibt gesund, haltet die Abstandsregeln ein, und vermeidet unnötige Kontakte.

Der seltsame Fall der Corona-Sterblichkeit

Zu Corona-Zeiten besteht die Gefahr, dass ein Blog-Eintrag innerhalb weniger Tage veraltet ist. Dennoch warte ich seit Wochen darauf, dass eine COVID-19-Besonderheit in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Die Verteilung der Sterblichkeit.

Europa in der Krise

Aber vorab muss ich ausnahmsweise ein politisches Thema aufgreifen.
Der Zerfall Europas muss alle Demokraten mit größter Sorge erfüllen. Die meisten weniger betroffenen Länder reagieren spontan mit Bestandssicherung. Anstelle anderen Ländern zu helfen, werden die eigenen Behandlungskapazitäten und Reserven aufgestockt, selbst wenn sie ungenutzt bleiben. Von einem gemeinsamen, koordinierten Handeln z.B. bei den Ausgangsbeschränkungen keine Spur. Dies ist kein vereintes Europa. Menschen helfen sich gegenseitig in der Not, das ist das Wesen einer Gemeinschaft.

Unzweifelhaft befinden wir uns in einem moralischen Dilemma, wenn ein Land wie die USA geradezu mutwillig Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verweigert und damit unzählige Bürger umbringt. Dies gilt aber keinesfalls für die europäischen Länder, die von der Krise überrollt wurden. Italien und Spanien traf die Krankeit nur zuerst.

Ungewöhnliche Mortalität

Zurück zur Medizin. Mich überrascht, dass das die sehr spezifische Todesfallrate von Corona so wenig beachtet wird. COVID-19 tötet fast ausschließlich ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, mit einem sehr extremen Anstieg der Sterblichkeit. Nehmen wir die Menschen mittleren Alters als Basis (40-49jährig), die ein Risiko von ca. 0,4% haben. Das Risiko im Alter 70-79 liegt zwischen 5% und 12%, bei, Alter 80+ bei 14%-20% (je nach Untersuchung). Das Risiko für alte Menschen ist damit um Faktor 12 bis 50 größer als in der mittleren Altersgruppe. Bei Jugendlichen und Kindern gibt es weltweit nur wenige Einzelfälle, in denen die Patienten verstarb.

Dies ist grundverschieden von anderen Viren:

  • SARS-1 (2003-2005) hatte ein Sterblichkeitsprofil, das ähnlich dem Coronavirus war. Allerdings war der Unterschied in den Altersgruppen bei weitem nicht so extrem: Lediglich Patienten unter 30 Jahren waren mit 0,9% nur gering betroffen. Die Sterbichkeit stieg für Alter 40-49 auf 5% und lag für 50-59 schon bei 10%. In der höchsten Altersgruppe lag die Sterblichkeit bei 28% oder weniger. Das Risiko alter Menschen war damit nur (nur?) rund 6-mal größer als in der Referenzgruppe.
  • Die spanische Grippe, die ähnlich wie COVID-19 eine Autoimmunreaktion (Zytokinsturm) auslöst, war bekannt dafür, vor allem junge Menschen im Alter von 20-40 Jahren zu töten.
  • Bei der üblichen Influenza gelten junge Kinder als Risikogruppe.
  • Ebola hat zwar eine geringere Mortalität für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, diese liegt aber immer noch über 50%, während 75% der älteren Patienten sterben.

Es kursieren zwei dominierende, widersprüchliche Erklärungen, und beide sind falsch:

  • Nein, ein besonders gutes/aktives Immunsystem ist kein Risikofaktor. Wäre dies der Fall, dann müsste die Mortalitätsrate in der Altersgruppe 20-40 sehr viel höher sein.
  • Nein, ein schwaches Immunsystem ist ebenfalls kein Risikofaktor. Wäre dies der Fall, müsste die Mortalitätsrate von kleinen Kindern sehr viel höher sein.

In Low-Carb-Kreisen wird seit Wochen spekuliert, dass eine schlechte Blutzuckerkontrolle entscheidend für schwere COVID-19-Verläufe sein könnten. Dies erfolgte lange Zeit ohne wissenschaftliche Basis, deshalb habe ich es hier auch nicht kommentiert: Natürlich war der Anteil der Diabetiker mit über 30% unter den Toten hoch, aber nicht viel höher als eine relativ zufällige Bevölkerungsgruppe im Rentenalter (die Diabetes-Rate liegt hier bei rund 25%). Dieser Tage gibt es aber doch einen schlüssige Vermutung, wenngleich noch ohne Veröffentlichung: Eine häufige Todesursache bei Corona sind Lungenembolien, bei denen die Arterien der Lungen blockiert sind. Diese Blockaden sind atherosklerotische Plaques, die sich lösen und an anderer Stelle eine Blockade verursachen, die man im Herzen als Herzinfarkt und im Gehirn als Schlaganfall bezeichnet. Der „Lancet“ führt aus, dass die Endothelzellen (die innere Schicht von Blutgefäßen) besonders von COVID-19 geschädigt werden. Schäden an dieser Schicht führen zu atherosklerotischen Plaques.

Corona vs. Atherosklerose

Dies passt zur beobachteten Mortalität. Die Entstehung von Atherosklerose ist einer der wenigen Prozesse, die über viele Jahrzehnte schleichend erfolgt und die in üblichen Gesundheitstests nicht erkennbar ist. Eine genaue Risikoeinschätzung für ein Individuum haben wir nicht, am nähesten kommen sogenannte CAC-Scans, die den Gehalt von Calcium-Plaques im Herzen messen. Dabei gibt es ein klares Muster: Der Calcium-Score ist fast immer mit zunehmenden Alter ansteigend, und auch Menschen ohne diagnostizierte Vorerkrankungen werden durch den CAC-Scan oft in eine Hochrisikogruppe eingeordnet. Die Corona-Sterblichkeit korreliert nahezu perfekt mit der Verteilung der CAC-Scores nach Alter: Minimal unter 40-50, dann aber schnell ansteigend. Bei Diabetikern deutlich erhöht gegenüber Nicht-Diabetikern.

Corona könnte dazu führen, dass sich eine bereits bestehende Plaquebildung vor allem in den Lungen beschleunigt. Die Plaques behindern den Blutfluss und damit den Sauerstofftransport, und bei schweren Verläufen kommt es zur Embolie. Corona betrifft möglicherweise die Menschen am schwersten, die das höchste Atherosklerose-Risiko haben.

Zudem könnte dies erklären, weshalb Intubation (künstliche Beatmung) zu einer höheren Todesrate führt: Diese Patienten bewegen sich weniger, und haben eine höhere Wahrscheinlichkeiten für Embolien.

Wie kann man vorbeugen? Die schlechte Nachricht ist, dass es keine kurzfristigen Maßnahmen gibt. Es gibt nur wenige anektdotische Fälle, in denen atherosklerotische Plaques (die CAC-Scores) verringert werden konnte. Dies dauerte Jahre, und es ist unklar, ob eine solche Verringerung eines synthetischen Werts mit einer Verringerung des Risikos für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Embolien korreliert. Dagegen gibt es viele Fallberichte, in denen Menschen die Progression der Plaquebildung gestoppt haben: Strenge Blutzuckerkontrolle über kohlenhydratarme oder ketogene Ernährung, als Richtwert sollte der Blutzucker 1-2 Stunden nach Mahlzeiten nicht über 120 ansteigen. Dies, verbunden mit sorgfältiger Auswahl gesunder Nahrungsmittel und ggf. Substition einiger Mikronährstoffe, können eine Bildung neuer Plaques verhindern. Besonders die Versorgung mit Vitamin D3 sowie K2 wird hier oft hervorgehoben (gute Podcasts zu Calcium-Plaques und Vitamin D3 findet man etwa bei Ivor Cummings — dessen Corona-Podcasts ich allerdings eher kritisch betrachte), da diese Vitamine nicht nur entzündungshemmend, sondern auch wichtig für den Calcium-Stoffwechsel sind.

Kurzfristig bleiben nur Isolation und das Tragen von Masken, eine gute Versorgung mit Mikronährstoffen (z.B. Vitamine B12/C/D/E/K2, Magnesium, Folat, Alpha-Liponsäure) sowie die üblichen Maßnahmen zur Immunsystemstärkung: Genug Schlaf, genug Bewegung und Sonnenlicht, sowie natürlich gesunde Ernährung. Und es ist nie zu spät, mit der Glukosekontrolle zu beginnen.

Bleibt gesund, und haltet Abstand!

#flattenthecurve #stayathome

Auf der Suche nach der Insulinresistenz (2): Glykogenese

Im letzten Blog-Artikel diskutierte ich die Entstehung von Insulinresistenz. In der Fortsetzung werden wir sehen, dass nicht nur hohe Glukose- und Fruktosespiegel, sondern höchstwahrscheinlich auch Omega-6-Fettsäuren (mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die in vielen preiswerten Pflanzenölen wie Sonnenblumenöl enthalten sind) das metabolische Syndrom auslösen. Dies erklärt die Explosion der verschiedenen Zivilisationskrankheiten, insbesondere Diabetes, in den letzten 40-50 Jahren, die nahezu perfekt mit dem Konsum von Omega-6-Fetten korreliert.

Erinnern wir uns: Vergleichen wir die Muskelzellen mit einem Koffer, der durch ein Schloss gesichert ist. Insulin der Schlüssel, mit dem das Schloss der Zelle aufgeschlossen wird, und durch die offene Tür können unsere T-Shirts (die Glukose) in den Koffer (die Zelle). Unter „Insulinresistenz“ versteht man im Allgemeinen, dass der Schlüssel nicht mehr funktioniert, egal aus welchem Grund. Eine Blockade der Rezeptoren durch Fremdstoffe entspräche einem Kaugummi im Schloss. Toleranz entspricht Verschleiß, das Schloss ist durch die viele Benutzung abgenutzt und wir der Schlüssel schließt nicht immer. Aber sind wirklich Schlüssel oder Schloss unseres Koffers defekt? Ist der Koffer vielleicht einfach nur voll oder gefüllt mit Müll, so dass unsere T-Shirts nicht rein passen?

Eine alternative Erklärung ist, dass Insulinresistenz gar nicht das Problem ist. Wir beobachten vor allem, dass die Glukose nicht mehr über die Muskelzellen abgebaut wird, was zu hoher Fettproduktion als einzigem verbleibenden Mechanismus zum Glukoseabbau führt. Nehmen wir für einen Moment an, dass unser Schlüssel Insulin prinzipiell funktioniert und das Schloss aufschließt, aber die Glukose trotzdem nicht von der Muskelzelle aufgenommen wird. (Dies erklärt die beobachtete Insulinsensitivität der anderen Zellen.) Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten: Fung argumentiert dass die Muskelzellen schlichtweg voll sein könnten und keine Glukose mehr aufnehmen. (Schloss und Schlüssel des Koffers sind in Ordnung, der Koffer ist aber so vollgestopft dass nichts mehr reinpasst.) Diese Annahme würde aber bedeuteten dass eine längere Glukose-Abstinenz, bei der die Zellen „leer“ laufen, sofort die Insulinsensitivität wiederherstellt, und dies widerspricht unseren Beobachtungen: Selbst beim Fasten oder bei ketogener Ernährung bleiben die Nüchtern-Insulinspiegel für mindestens einige Monate weit über den Normalwerten, und auch kleine Kohlenhydratmengen lösen die übliche hohe Insulinantwort aus.

Glykogen und Glykogenese

Eine Überfüllung der Muskelzellen ist aber nicht die einzige Möglichkeit, warum sie nur noch wenig Glukose aufnehmen. Eine Alternative ist eine Blockade der Glykogenese, bei der Glukose in Glykogen umgewandelt wird, oder der Glykogenverwertung. Aber was ist Glykogen eigentlich? Da Glukose toxisch wirkt, wird sie im Körper in das harmlose Glykogen umgewandelt, das sich bei Bedarf mühelos wieder zu Glukose umwandeln lässt. Wir gehen von bis zu 500g Glykogen in den Muskeln und 100g Glykogen in der Leber aus, was unseren Energiebedarf für ca. 2 Tage decken kann. Glukose aus dem Blut diffundiert in die Zelle und wird dort zu Glykogen umgewandelt. Insulin schließt nicht einfach nur den Koffer auf, sondern aktiviert die Glykogen-Synthese. (Die unordentlichen T-Shirts werden nicht nur in den Koffer gestopft sondern auch fein säuberlich zusammengefaltet, so dass viel mehr in den Koffer passt als wenn er von meinem Töchterchen gepackt würde.) Bei einem gesunden Menschen kann deshalb eine große Portion Nudeln genug Energie für den ganzen Tag geben: Die Kohlenhydrate werden zwar vom Magen innerhalb kurzer Zeit in Glukose aufgebrochen und in das Blut geschleust, dort aber von den Muskeln in Glykogen umgewandelt und gespeichert. So dient die Glukose über die folgenden Tage verteilt als Energiespender. Der Glukosespiegel im Blut ist nach ca. 2 Stunden fast wieder im Normbereich.

Eine Behinderung der Glykogenese führt dazu, dass die Muskelzellen nur noch sehr wenig Glukose speichern. Von „außen“ sieht dies genauso aus wie die vermutete Toleranzentwicklung: Die Glukose geht nicht mehr in die Zellen. Aber für die Therapie bzw. Krankheitsentstehung ist dieser Unterschied sehr wichtig: Bei Toleranz ist die einzig sinnvolle Therapie ein konstant niedriger Insulinspiegel über eine ketogene Ernährung, und die Hoffnung dass sich die Sensitivität mit der Zeit wieder herstellt. Bei einer Behinderung der Glykogenese ist die ketogene Ernährung natürlich auch eine Lösung des Problems. Aber wenn sie durch externe Faktoren zustande kommt, müssen diese unabhängig davon gefunden und beseitigt werden. Diese Überlegungen sind also nicht nur theoretisch, sondern haben handfeste Auswirkungen auf die Therapie.#

Symptome einer gestörten Glykogenese

Die Glykogenese ist bekanntermaßen bei Diabetes stark beeinträchtigt und wird teilweise als Hauptmechanismus von Insulinresistenz angesehen. Eine Glykogenese-Behinderung (Glykogen wird gar nicht oder nur bei hohen Insulinspiegeln gebildet) erklärt viele Beobachtungen erstaunlich gut:

  • Bei niedrigeren Insulinspiegeln wird die Glukose nicht von den Muskelzellen aufgenommen. Der Glukosespiegel steigt deshalb stark an und sorgt für einen hohen Insulinausstoß, der zwar die Glygogenese aktiviert, aber die Glukose gleichzeitig verstärkt über Umwandlung in Triglyzeride aus dem Blut entfernt. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Glukose direkt in die Fettzellen geht und nicht als Energie zur Verfügung steht, so dass wir größere Portionen essen müssen um den Energiebedarf der Muskeln zu decken.
  • Nach Absinken des Glukosespiegels im Blut haben die Muskeln keine Energie mehr, da die Glykogenspeicher leer oder blockiert sind. Ca. 2-3 Stunden nach der Mahlzeit sinkt der Glukosespiegel unter den Normbereich, der Patient unterzuckert und muss schleunigst Glukose zuführen.
  • Um dies auszugleichen, wird die Gluconeogenese aktiviert, bei der Protein in Glukose umgewandelt wird. Evolutionär ist sie dazu da, bei ketogener Ernährung ein wenig Glukose bereitzustellen um die wenigen Zellen zu versorgen die keine Mitochondrien enthalten, deshalb keine Ketone verbrennen können und auf Glukose angewiesen sind, wie die roten Blutkörperchen. In diesem Modus kommt nahezu die gesamte Energie aus Ketonen, und nur ein kleiner Teil des Bedarfs wird über Glukose via Gluconeogenese gedeckt. Die hohen Insulinspiegel von (Prä)Diabetikern blockieren allerdings die Ketonbildung, so dass die Gluconeogenese als einizige Energiequelle bleibt – und der Energiebedarf des gesamten Körpers kann bei weitem nicht gedeckt werden. Dies erklärt, warum bei Diabetikern eine durchgehend starke Gluconeogenese beobachtet und medikamentös verhindert wird (z.B. Metformin).
  • Eine hohe Dosis Insulin, wie sie bei Diabetikern gespritzt wird, löst das Problem für eine Weile.

Insulinresistenz und Omega-6-Fettsäuren

Die Behinderung der Glykogenese erscheint also sehr passend als Ursache der Insulinresistenz. Können wir auch eine Verbindung zu pflanzlichen Ölen herstellen? Die preiswerteren Pflanzenöle wie Sonnenblumenöl bestehen vor allem aus Linolsäure, einer mehrfach ungesättigten Omega-6 Fettsäure (n-6 PUFA, für „omega-6 polyunsaturated fatty acids“), die in tierischen Fetten nur in kleinen Mengen vorkommt. Calcium (genauer cAMP) blockiert die Glykogenese, und n-6 PUFAs verändern den Calciumhaushalt. Zudem aktivieren n-6 PUFAs das Immunsystem und verursachen oxidativen Stress, sie verursachen also chronische Entzündungen, die wiederum mit Insulinresistenz assoziiert sind.

Die allgemein verbreitete Ansicht des Mainstreams dass Fettgewebe für Entzündungen sorgt darf man als isolierte Aussage kritisch hinterfragen. Fettgewebe ist evolutionär eine zwingend notwendige Energiereserve für den Winter, und es erscheint ausgeschlossen dass die Evolution uns so gebaut hat dass Fettgewebe uns krank macht. In Kombination mit n-6 PUFAs (die unsere Vorfahren kaum konsumierten) ergibt sich aber ein ganz anderes Bild: Je mehr Pflanzenöle wir essen, desto mehr n-6 PUFAs befinden sich in unserem Fettgewebe, rund ein Viertel des gespeicherten Fetts eines durchschnittlichen Amerikaners ist heutzutage Linolsäure. Diese gespeicherten Fette sorgen für chronische Entzündungen, selbst wenn wir unsere Ernährung ändern. Dies erklärt auch die langsame Normalisierung der Insulinresistenz bei übergewichtigen Menschen, wenn sie auf eine ketogene Ernährung umsteigen: Die in den Fettzellen gespeicherte Linolsäure wird über Monate und Jahre hinweg langsam verbrannt. Dieser Prozess endet erst nach Jahren, wenn die Fettspeicher abgebaut sind und sich das Gewicht normalisiert hat.

Setzen wir jetzt das Puzzle zusammen. Omega-6-Fette sammeln sich in unserem Körper an und sorgen für chronische Entzündungen. Zudem stören sie die Glykogenese, was einerseits zu höheren Glukosespiegeln und mehr Insulin führt, andererseits dafür sorgt dass wir nicht so schnell satt bzw. nach einer Mahlzeit schnell wieder hungrig werden. Oder ganz pragmatisch: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind Brandbeschleuniger für das metabolische Syndrom.

Welcher Mechanismus ist nun dominant? Dies mag individuell verschieden sein. Bei manchen Menschen besteht systemweite Insulinresistenz, bei anderen Menschen ist die Glykogenese gestört. Eine Behandlung des metabolischen Syndroms über Wiederherstellung der Insulinsensitivität erfordert zwei Maßnahmen: Einerseits müssen die Insulinspiegel niedrig gehalten werden, andererseits muss der Konsum von Omega-6-PUFAs möglichst vermieden werden. Dies beinhaltet eine Auswahl von Fetten und Ölen, die nur wenig Omega-6-PUFAs enthalten (tierische Fette, Kokosöl und Olivenöl) bzw. mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten als Omega-6-PUFAs (Leinöl).

Auf der Suche nach der Insulinresistenz (1): Schwarze Schwäne

In letzter Zeit habe ich viel über die Entstehung von Insulinresistenz und metabolischen Krankheiten recherchiert, und dies soll — aufgrund der Komplexität aufgeteilt in mehrere Posts — auch hier im Blog thematisiert werden. (Ich hoffe, dies entschädigt etwas für den fehlenden Fortschritt an meinem Buch, für das ich momentan nicht die nötige Ruhe habe.) Denn wir können eine Krankheit nur behandeln oder vorbeugen wenn wir die Ursache kennen, und bei chronischen Krankheiten können wir sehr unterschiedliche Ursachen (und somit unterschiedliche Therapien) haben, obwohl die Symptome nahezu identisch sind. Dies gilt auch für das metabolische Syndrom, das nicht immer auf die gleiche Art und Weise entsteht.

Die Qualität einer Theorie bewerten wir daran, wie gut sie die Einzelfälle erklärt. Schwarze Schwäne sind essentiell wichtig: Wenn wir die Theorie aufstellen „Alle Schwäne sind weiß“, dann reicht ein einziger schwarzer Schwan um die Theorie zu entkräften. Wir müssen sie deshalb nicht sofort über Bord werfen, möglicherweise kann die Theorie erweitert werden um den schwarzen Schwan schlüssig zu erklären. Und natürlich müssen wir sicher sein dass die Beobachtung korrekt ist, und wir nicht auf einen Studentenstreich mit schwarzer Schuhcreme (und vermutlich einigen hässlichen Wunden durch einen verärgerten Schwan) hereingefallen sind.

In der Ernährungswissenschaft wurden schwarze Schwäne in der Vergangenheit gerne ignoriert. Es gab unzählige Beispiele von Zivilisationen die sich extrem hoch in gesättigten Fetten ernährten und dennoch niemals an Atherosklerose starben (wie die Masai, die Einwohner von Tokelau  oder die in Keto-Kreisen geradezu vergötterten Inuit). Die Antwort der Lipophoben (Verfechter der Lipidhypothese) war meist: Dies sind Ausnahmefälle, sie haben eine besondere Genetik oder Umwelt, wir können sie ignorieren. (Genetik ist sozusagen die Hand Gottes, und — wenn wir ehrlich sind — eine Hand Gottes ist eine wissenschaftliche Bankrotterklärung und disqualifiziert die Theorie sofort.) 

Natürlich sind genetische Faktoren denkbar, hier aber ganz offensichtlich nicht im Spiel: Alle diese Völker entwickelten Atherosklerose und die restlichen Zivilisationskrankheiten sobald sie auf westliche Ernährung wechselten, selbst wenn sich die Umwelt nicht maßgeblich veränderte. Spezielle genetische Faktoren führen hier höchstens zu einer schnelleren Krankheitsprogression: Die Einwohner von Tokelau entwickelten (wie einige Jahrzehnte vorher die Pima-Indianer) Diabetes im Rekordtempo.

Schwarze Schwäne dürfen nicht ignoriert werden.

Paradoxe Franzosen

Solche schwarzen Schwäne existieren allerdings auch für das Kohlenhydrat-Insulin-Modell (KIM), das davon ausgeht dass eine Ernährung reich an Kohlenhydraten zu Insulinresistenz, Diabetes und Atherosklerose führt. Geradezu gebetsmühlenartig werden von Gegnern des KIMs einige Zivilisationen ins Feld geführt: Die Kitavianer, die sich von stärkereichen Brotfrüchten ernährten, oder die langlebigen Japaner mit einer reisdominierten Ernährung.

Und dann haben wir das „französische Paradox“ der schlanken Franzosen, die sich mit gesättigten Fetten (Butter, Käse) und raffinierten Kohlenhydraten (Baguette, Croissants) vollstopfen. Es steht scheinbar im Widerspruch zu beiden Hypothesen. Es ist ein Musterbeispiel für den Umgang der Lipophoben mit unbequemen Daten: In Ancel Keys 7-Länder-Studie wurde Frankreich einfach ausgelassen. Stattdessen sprechen die Lipophoben bis heute vom französischen Paradox, ohne ihre Theorie zu hinterfragen. Die Franzosen widerlegen schon vor 50 Jahren die Lipidhypothese. 50 Millionen schwarze Schwäne wurden einfach ignoriert.

Auch in der westlichen Welt gibt es schwarze Schwäne, und nicht zu knapp: Rund 40% aller schlanken Menschen sind metabolisch krank . 20% der fettleibigen Menschen sind metabolisch gesund (Robert Lustig, „Fat Chance“). Übergewicht und metabolisches Syndrom sind nicht so eng verbandelt wie sie nach dem KIM sein sollten.

In den nachfolgenden Artikeln werde ich versuchen, diese schwarzen Schwäne in Einklang mit dem KIM zu bringen. Kurzfassung: Es gibt weitere Faktoren für metabolische Krankheiten. Diese Faktoren führen zu „lokaler Insulinresistenz“, wodurch der insulingesteuerte Stoffwechsel in ausgewählten Zelltypen behindert wird. Wir benötigen dafür keine mysteriösen genetischen Faktoren oder Umweltbedingungen.

Das macht das KIM nicht falsch, denn es beschreibt den dominanten Mechanismus. (Wenn die Straße nass ist, dann hat es fast immer vorher geregnet. Nur weil ein Wasserrohrbruch auch zu einer nassen Straße führt ist diese Beobachtung nicht ungültig.)

Ein Beispiel: Das Fehlen von speziellen Rezeptoren für Wachstumshormonen (ein seltener Gendefekt) führt zu stark übergewichtigen, aber metabolisch gesunden Menschen. Eine Wirkung dieser Wachstumshormone ist eine verminderte Verwertung von Glykogen, was unter dem Strich dazu führt dass nur die Muskelzellen insulinresistent werden, während die Glukoseverarbeitung in der Leber nicht beeinträchtigt ist. Die Glukose wird deshalb kaum in den Muskeln verbrannt sondern primär zu Fett umgewandelt. Die Betroffenen sind stark übergewichtig (hier 48% Körperfett), haben aber einen sehr aktiven Fettstoffwechsel und keine Anzeichen von metabolischen Syndrom.

Wie entsteht das metabolische Syndrom?

Aber zuerst ein Schritt zurück. Der Mechanismus zur Entstehung des metabolischen Syndroms ist umstritten. Sicher wissen wir nur, dass wir im Laufe der Jahrzehnte ständig steigende Insulinspiegel beobachten, die weit über den Normalwerten liegen (Hyperinsulinämie). Jahrzehntelang funktioniert die Glukoseregulierung (meist) noch gut, so dass sich in der Arztpraxis — wo nur Glukose und nicht Insulin gemessen wird — keine Auffälligkeiten ergeben, bis sich die Symptome des metabolischen Syndroms einstellen: Fettleber, hohe Triglyzeride, Bluthochdruck und oft Übergewicht. Erst im Endstadium gerät die Glukoseregulierung aus dem Gleichgewicht, zu den hohen Insulinspiegeln gesellt sich hoher Blutzucker. Der Arzt wiegt dann bedenklich den Kopf und empfiehlt mehr Sport, um eine Diabetes abzuwenden — zu einem Zeitpunkt wo das Kind schon tief in den Brunnen gefallen ist. (Mehr dazu in meinem Buch im Kapitel zu Diabetes.)

Die spannende Frage ist allerdings: Warum sind die Insulinspiegel so hoch? Wir gehen fast immer von Insulinresistenz aus. Der erwartete Effekt (die Glukosespiegel verringern sich) tritt nicht ein, der Körper gleicht das durch erhöhte Produktion aus. Dafür kann es verschiedene Ursachen geben, etwa eine Blockade der Insulin-Rezeptoren durch Fremdstoffe, die Insulin imitieren. Kandidaten sind das in Weizen enthaltene Lektin WGA und der in Milch enthaltene Insulin-like growth factor IGF1. Diese Stoffe beschleunigen unzweifelhaft die Entstehung des metabolischen Syndroms. Sie dürften allerdings kaum ursächlich sein, denn das metabolische Syndrom verschwindet nicht einfach wenn wir diese Stoffe aus der Ernährung streichen.

Resistenz vs. Toleranz

Ein anderer möglicher Mechanismus ist Toleranzentwicklung, die etwa so abläuft: Rezeptorzellen, die auf Signale wie Insulin reagieren, werden durch eine dauerhafte Reizüberflutung weniger empfindlich. (Vergleichbar mit einem Rockmusiker, der bei jedem Konzert immer ein kleines bischen tauber wird.) Diesen Mechanismus kennt man gut z.B. von Neurotransmittern wie Dopamin oder Serotonin. Vergleichen wir die Muskelzellen mit einem Koffer, der durch ein Schloss gesichert ist. Insulin der Schlüssel, mit dem das Schloss der Zelle aufgeschlossen wird, und durch die offene Tür können unsere T-Shirts (die Glukose) in den Koffer (die Zelle). Unter „Insulinresistenz“ versteht man im Allgemeinen, dass der Schlüssel nicht mehr funktioniert, egal aus welchem Grund. Eine Blockade der Rezeptoren durch Fremdstoffe entspräche einem Kaugummi im Schloss. Toleranz entspricht Verschleiß, das Schloss ist durch die viele Benutzung abgenutzt und wir der Schlüssel schließt nicht immer.

Im Fall von Insulin ist eine Reizüberflutung unzweifelhaft denkbar und der vom KIM favorisierte Mechanismus, denn die kohlenhydratreiche westliche Nahrung erzeugt dauerhaft weitaus höhere Insulinspiegel als es evolutionär bei unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren normal war. Diese bekamen nämlich nur im Sommer überhaupt merkliche Mengen an Kohlenhydraten, und diese kamen immer im Verbund mit Ballaststoffen, so dass die Kohlenhydrate langsam ins Blut gingen und unser Körper genug Zeit hatte die Glukose aus dem Blut zu entfernen. (Und dies ist fundamental wichtig, denn ein zu hoher Blutzucker vergiftet viele Zellen. Deshalb produziert die Bauchspeicheldrüse auch große Mengen Insulin wenn sie mit hohen Glukosespiegeln konfrontiert ist, um die giftige Glukose möglichst schnell aus dem Blut zu entfernen.) Mit der westlichen Ernährung dürften wir unsere Bauchspeicheldrüse (verantwortlich für die Insulinproduktion) und Leber (Umwandlung von Glukose in Triglyzeride bzw. Glykogen) an einem x-beliebigen Tag um ein Vielfaches mehr belasten als unsere Vorfahren dies selbst im Sommer in einem Feld voller Obstbäume taten. Raffinierte Kohlenhydraten wie Zucker und Weißmehl gehen sehr schnell ins Blut, sorgen für hohe Glukosespiegel und damit dauerhaft hohe Insulinspiegel.

Der wesentliche Unterschied zwischen Mainstream/Lipidhypothese und dem KIM ist die Bewertung der Kausalität: Das KIM geht von hohen Insulinspiegeln aufgrund kohlenhydratreicher Ernährung aus, was wiederum Insulinresistenz erzeugt und zu noch höheren Insulinspiegeln führt. Ursächlich sind viel Zucker und Mehlprodukte, die den Teufelskreis der Insulinresistenz aktivieren. Übergewicht und Bluthochdruck sind ein Symptom, nicht die Ursache.

Der Mainstream, auf dem z.B. die deutschen Leitlinien zur Diabetes-Behandlung basieren, ignoriert ernährungsbedingte Einflüsse und hält Insulinresistenz primär für eine Folge von Übergewicht, Entzündungen und genetischen Faktoren. Hier ist Übergewicht die Ursache und nicht ein Symptom. Die genetischen Faktoren sind wiederum nicht ausgeführt, auch hier ist die Hand Gottes im Spiel. (Sehr glaubwürdig ist das nicht. Kann man eine Verzehnfachung der Diabetesfälle in 60 Jahren dadurch erklären dass die Diabeteskranken mit schlechten Genen besonders fleißig im Bett sind?) Der Mainstream bietet keine kausale Erklärung, warum immer mehr Menschen Typ-2-Diabetes bekommen, und das in immer jüngeren Jahren.

Schwarze Schwäne im Kohlenhydrat-Insulin-Modell

Nachdem ich jetzt in aller Breite den Mechanismus erläutert habe, kommen wir allerdings zum springenden Punkt: Ist unser Verständnis von Insulinresistenz überhaupt korrekt? Die im Mainstream verwendete Erklärung klingt zwar für einen Laien beeindruckend komplex, ist aber bei näherer Betrachtung erstaunlich blutleer für eine Behandlungsgrundlage von hunderten Millionen Menschen.

Aber auch die vom KIM favorisierte Reizüberflutung ist nicht ohne Probleme. Jason Fung wies schon vor Jahren darauf hin dass die Annahme von Toleranz erhebliche Widersprüche aufwirft: Nahezu alle Körperzellen reagieren auf Insulin. Bei einer körperweiten Toleranz müssten aber alle Zellen beeinträchtigt sein. Fettzellen dürften keine Fette mehr speichern, und die Leber dürfte keine Triglyzeride mehr produzieren. Dies widerspricht den Beobachtungen: Wir werden (meist) erst dick bevor wir Diabetiker werden. Die Fetteinlagerung funktioniert also gut, Leber und Fettzellen bleiben insulinsensitiv. Wie kann es sein, dass nur einige Zelltypen insulinresistent werden? Die Leber und Fettzellen sind genau denselben überhöhten Insulinspiegeln ausgesetzt sind. Warum zeigen sie keine wesentlichen Veränderungen?

Kurzum, wir müssen hinterfragen ob wir von den richtigen Annahmen ausgehen. Ist eine körperweite Insulinresistenz wirklich die Ursache für das metabolische Syndrom? Sind wirklich Schlüssel oder Schloss unseres Koffers defekt? Ist der Koffer vielleicht einfach nur voll oder gefüllt mit Müll, so dass unsere T-Shirts nicht rein passen?

Fortsetzung folgt.

Friss die Hälfte für doppelten Frust

The word „thermodynamics“ is thrown around a lot in nutrition, mostly by people who have no idea what it’s about. You don’t need thermodynamics to do nutritions, but if you’re going to bring thermodynamics into it, you’ve got to do it right .
Die Prinzipien der Thermodynamik werden in der Ernährung gerne zitiert, meist von Menschen die keine Ahnung davon haben. Man braucht keine Thermodynamik um Ernährungswissenschaft zu betreiben, aber wenn man die Thermodynamik reinzieht, dann muss man es schon richtig machen.
(Richard D. Feinman, *1940)

Die zweite Hälfte dieses Eintrags ist schamlos kopiert inspiriert von Hyperlipid. Ein Chapeau! an Peter, sein Blog ist extrem lesenswert (wenn auch etwas technisch, die Zielgruppe sind eher Fachleute). Aber ich schreibe für die deutschsprachige Community und das Thema passt prima zu einigen Diskussionen die ich kürzlich führte, also greife ich es auf.

Worum geht es? Friss die Hälfte funktioniert nicht. Zumindest für rund zwei Drittel von uns, die wir insulinresistent sind und bestenfalls ein paar Kilo abnehmen bevor sich das Gewicht wieder stabilisiert. Und um das klarzustellen: Hier geht es ausschließlich um langfristigen Gewichtsverlust durch Fett. Einige Kilogramm Fett hier und da verlieren kann fast jeder, aber die genannten zwei Drittel gleichen kurzfristige Gewichtsverluste langfristig immer wieder aus. Nach ein bis zwei Jahren ist der Speck wieder da.

Nun ist die Welt der Ernährung leider nicht einfach. Das Weglassen von Junkfood (bei manchen von uns schon friss die Hälfte) kann durchaus einen moderaten, langfristigen Gewichtsverlust bringen, da die Kombination von schnell verfügbaren Kohlenhydraten mit pflanzlichem Fett (Chips oder Schokoriegel) zu einer Überlastung von Leber und Mitochondrien führt, was kurzfristig mehr Hüftgold und langfristig mehr Insulinresistenz bedeutet. Aber viele übergewichtige Menschen essen schon vergleichsweise gesund (mehr als man denkt!) und vermeiden diese Dickmacher weitgehend.

Die Dynamik des Abnehmens

Wenn uns jemand erklärt dass sie/er 15 Kilogramm mit Friss die Hälfte abgenommen hat, dann gehört er wohl zu dem letzten, insulinsensitiven Drittel. Der Rest von uns fühlt sich schuldig (darin sind wir Menschen gut), haben wir doch zu oft „gesündigt“ oder waren nicht willensstark genug. Das Problem liegt aber weder bei den biblischen Todsünden Völlerei und Faulheit, sondern in unseren Hormonen. Und je stärker wir insulinresistent sind, desto mehr kommt der Hormonhaushalt aus dem Tritt:

  1. Die Basis der FDH-Diät bildet eine Lüge unzulässige Vereinfachung. Das gern zitierte erste Gesetz der Thermodynamik sagt „Energie zugeführt = Energie verbraucht + Energie gespeichert“, und daran ist nicht zu rütteln. Der Kardinalfehler der FDH-Verfechter ist allerdings, dass sie beide Seiten der Gleichung für unabhängig halten, was grundfalsch ist.
    Eine Energiedifferenz wird nur zu einem kleinen Teil mit den Fettspeichern „verrechnet“. Zusätzliche Kalorien führen zu einem höheren Verbrauch, erhöhte Wärmeproduktion oder mehr Aktivität. (Dies erfolgt mit etwas Verzögerung, natürlich wird man nach einer mächtigen Mahlzeit erst einmal müde und verdaut. Der Energiegewinn macht sich einige Stunden oder sogar Tage später bemerkbar.) Wer weniger isst, dem wird schneller kalt und müde, der Aktivitätslevel sinkt. Der Verbrauch reduziert sich ganz unbewusst.

    Auch eine gezielte Beeinflussung funktioniert eher schlecht als recht. Mit dem überall als Wahrheit postuliertem „mehr Sport“ lässt sich deshalb nicht merklich abnehmen, zumindest wenn man keine Kalorien zählt und nicht tägliches mehrstündiges Training betreibt. Studien belegen, dass wir selbst bei regelmäßigem Sport nicht einmal ein Kilo pro Jahr abnehmen.

    Zudem muss man in obiger Gleichung die Verluste betrachten. (Dies ist übrigens das zweite Gesetz der Thermodynamik.) Wir verbrauchen einen Teil der Energie zum Verdauen, bei Protein kommt nur 75% der Energie an. (Eine Kalorie ist zwar immer eine Kalorie, aber eine Kalorie Protein liefert weniger Energie als eine Kalorie Fett oder Zucker.) Zudem scheiden wir Energie z.B. in Form von Ketonen über die Atemluft und den Urin aus. Dies erklärt ein Paradox der ketogenen Ernährung: Wir essen oft mehr Kalorien als früher und nehmen trotzdem ab.

  2. Wenn unsere Hormone durcheinander kommen und wir die Kalorienzufuhr reduzieren, dann ist jede kleine Dosis Zucker wie eine Spritze eines magischen Hunger-Erzeugers. Wir bekommen Heißhunger und können die Diät nicht einhalten. Und das ist des Pudels Kern: Hunger gehört zu den wichtigsten Signalen unseres Körpers, die Evolution hat uns so verdrahtet dass es sehr schwierig ist Hunger zu ignorieren. Deshalb scheitern fast alle Diäten die auf Hungertoleranz setzen. Dauerhaft hungern können vielleicht Models, bei denen (ungesund geringes) Gewicht eine Existenzgrundlage ist. Wir Normalsterbliche schaffen das nicht.

    Natürlich kann man mit Hungern abnehmen. Wer nichts isst der nimmt ab, unzweifelhaft. Aber wir wollen nicht 6 Monate lang fasten bis wir am Zielgewicht sind (das ist weder praktikabel noch gesund). Die Verträglichkeit ist die wichtigste Eigenschaft einer Diät. Ich selber habe oft „friss die Hälfte“ versucht und auch immer einige Wochen durchgehalten, aber dann kam der Heißhunger, und das war es dann mit der Diät.

    Fast alle Übergewichtige sind fest davon überzeugt dass Abnehmen nur eine Frage von Disziplin und Willensstärke ist. Das ist falsch, und das werden alle Menschen bestätigen die aus Gewichtsgründen auf ketogene Ernährung gewechselt sind: Ich kann mich mit köstlichem Essen satt essen und nehme trotzdem ab. Einzige Bedingung ist dass wir nur essen wenn wir hungrig sind. Etwas Willensstärke brauchen wir allerdings doch, da Zucker süchtig macht und wir in den ersten Monaten nach der Umstellung durch eine Entzugsphase gehen. Aber das gibt sich schnell.

  3. Nach zwei kurzfristigen Auswirkungen kommen wir zu dem alles entscheidenden, langfristigen Effekt: Unser Körper reduziert mit der Zeit den Grundumsatz wenn wir weniger essen, genauso wie er den Grundumsatz erhöht wenn wir mehr essen. (Der Grundumsatz ist für das Verbrennen der meisten Kalorien zuständig. Er liegt meist bei ca. 2000 kcal am Tag. Eine Reduktion um 20% können wir nur durch eine Stunde intensiven Sport wettmachen.)
    Der JoJo-Effekt kommt nicht zustande weil wir uns nach einer Diät gehen lassen und extra viel essen, sondern weil der Grundumsatz gefallen ist. Diesen senkt der Körper schnell und nachhaltig. In der „Biggest-Loser-Studie“ wurden Teilnehmer, die im Schnitt fast 60kg in kurzer Zeit abgehungert hatten, nach 6 Jahren wieder untersucht. Mehr als zwei Drittel des verlorenen Specks war wieder auf den Rippen, aber der Grundumsatz lag 500kcal unter den Werten vor Beginn der Studie (nach Korrektur für die verlorenen Fettpolster). Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Sogar 6 Jahre nach dem Fasten ist der Grundumsatz noch um ca. 20% niedriger. Oder anders herum: Wer nach einer kurzen Phase mit starker Kalorienreduktion so viel isst wie vor der Diät, der nimmt schnell wieder zu. Nicht die biblischen Todsünden, sondern unsere Biologie ist schuld.

    Deshalb ist Fasten allein keine gute Maßnahme gegen Übergewicht: Menschen die mehrmals im Jahr für längere Zeit fasten nehmen durch den verringerten Grundumsatz vielleicht sogar langfristig zu, obwohl sie außerhalb der Fastenzeiten nicht mehr essen als früher. Isst man nach dem Fasten wieder kohlenhydratreich, dann führen hohe Insulinspiegel sofort in den „Mastmodus“, in dem der Körper Fettaufbau priorisiert. Der Körper versucht bei hohen Insulinspiegeln immer die Fettpolster zu erhalten, nur bei niedrigen Insulinspiegeln gibt er den Inhalt der Fettzellen bereitwillig her.

Once more with feeling numbers!

Die Reduktion des Grundumsatzes wird im genannten Artikel bei Hyperlipid diskutiert. Eine neue Studie betrachtet fettleibige Typ-2-Diabetiker, die definitiv insulinresistent sind. Zwei Gruppen mussten abspecken, eine (Interventions-)Gruppe hungert richtig, eine Vergleichsgruppe hungert nur etwas. Die Interventonsgruppe wurde für 12 Wochen auf eine stark unterkalorische Low-Fat-Diät mit ca. 800 Kalorien am Tag gesetzt (14% der Kalorien aus Fett, 26% aus Protein). Danach mussten sie für 3 weitere Monate weiter hungern (1000 Kalorien am Tag). Im letzten halben Jahr durften sie sogar soviel essen wie die Vergleichsgruppe, 600 kcal unter dem gemessenen Grundumsatz (also nur noch etwas hungern). Die Vergleichsgruppe erhielt 600 Kalorien weniger als ihr individueller, zu Studienbeginn gemessener Grundumsatz („leitliniengerechte Behandlung“), was angeblich zu 2-4kg Gewichtsverlust pro Monat führen sollte.

Zum Vergleich: in den 40er Jahren galt eine Diät mit 1600 Kalorien als geeignet für ein „Verhungern“-Experiment von Ancel Keys, das als „Minnesota Starvation Experiment“ bekannt ist. Nahezu alle Teilnehmer entwickelten schwere psychische Probleme und träumten den ganzen Tag von Essen. Viele besorgten sich heimlich zusätzliches Essen oder sprangen ab. (Heutzutage empfiehlt man genau diese Kalorienzahl routiniert übergewichtigen Menschen zum Abnehmen.)

In Bild kann man sehen , wie stark sich der Körper auf eine verringerte Energiezufuhr einstellt. Das Gewicht der Interventionsgruppe (rot) steigt im zweiten Halbjahr der Studie deutlich um 4,3kg an, obwohl die Menschen 600 kcal unter dem gemessenen Tagesverbrauch aßen. Ein Drittel des anfänglichen Gewichtsverlusts von 14,1kg im Hunger-Halbjahrwird wieder ausgeglichen. Der (unerwünschte) Verlust an Muskelmasse lag nach der Hungerphase bei 3,5kg, und nur 1kg davon wurde in dem zweiten Halbjahr wieder ausgeglichen. Die 4,3kg waren überwiegend erneuter Fettaufbau und nicht etwa Kompensation verlorener Muskelmasse.

Diese Studie war schlichtweg zu kurz, wobei die armen Teilnehmer dies sicherlich anders sehen würden. Was wäre passiert wenn die Probanden weitere 12 Monate mit einem 600kcal Energiedefizit gegessen hätten? So können wir nur feststellen dass die Probanden der Interventionsgruppe trotz Kalorienreduktion (erinnert euch: erwartet wurden minus 2-4kg im Monat) wieder schnell zunahmen. Die Gewichtszunahme scheint sich mit der Zeit zu verlangsamen, leider haben wir nur Datenpunkte nach 6, 9 und 12 Monaten. Aber die oben zitierte Biggest-Loser-Studie lässt vermuten dass der Grundumsatz dauerhaft verringert bleibt. Würde die Interventionsgruppe nach 2-3 Jahren wieder auf dem Ausgangsgewicht landen und dann weiter zunehmen?

Die Kontrollgruppe (blau) entsprach eher unseren FDH-Empfehlungen. Bei einer Reduktion der Energiezufuhr um 600 kcal (friss drei Viertel und nicht friss die Hälfte) reduzierten sie die Kalorien um rund 25%. Sie nahmen im Schnitt aber nur 4kg ab und nicht mindestens 24 Kilogramm wie erwartet. Aber auch hier gleicht die Reduktion des Grundumsatzes alles aus: Nach einem halben Jahr ein schlug die Waage bei minus 4,5kg aus, im zweiten Halbjahr nahmen sie schon wieder 0,5kg zu. Halten wir fest: 25% weniger Essen bei Fettleibigen führt zu gerade einmal 4kg weniger Fett in einem Jahr, und das Gewicht steigt langfristig wieder an. Und natürlich führt eine Rückkehr zu normalem Essverhalten (satt essen statt etwas hungern) zu schnellem Zunehmen.

Friss die Hälfte funktioniert nicht, der Preis für andauerndes Hungern ist Frust (und nicht heiß).

Evidenzbasierte Leitlinien?

Geradezu absurd erscheint das Fazit der Wissenschaftler, die ihre Hunger-Diät für eine hervorragende Behandlung halten. Sie stellen zwar fest dass die Teilnehmer trotz unterkalorischer Ernährung schnell wieder zunehmen, kommentiertieren dies aber nicht. Versteckt in den online verfügbaren zusätzlichen Dokumenten findet man übrigens die Nebenwirkungen der Studienteilnehmer: Erschöpfung, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Depressionen, Verstopfung, Haarausfall, Krämpfe, Schwindel und noch viel mehr. Im Schnitt berichtete jeder Teilnehmer 6 verschiedene Nebenwirkungen, was die Wissenschaftler ebenfalls für nicht erwähnenswert hielten. Im Vergleich: Ketogene Ernährung führt bei Diabetikern zu größeren Gewichtsverlusten und nachhaltigerer Senkung der Glukosespiegel, ganz ohne Hungern, ohne Jojo-Effekt und ohne langfristige Nebenwirkungen. Ob das die Teilnehmer wussten?

Auf solchen Studien basieren unsere Richtlinien für Diabetiker? Dieser grobe Unfug soll eine evidenzbasierte Behandlung von Übergewicht und Diabetes sein, während ketogene Ernährung nur „gefährliche Pseudowissenschaft“ ist?

Die Ethik des veganen Lebens

Als ich heute zur Arbeit ging blinkte mich von der Ampel ein „Stop Meat“ (rot) und „Go vegan!“ (grün) an, was jemand über die Lichter geklebt hatte. Bento kolumnierte neulich „Schluss mit Höflichkeit: Ab sofort werde ich Fleischesser missionieren“, und in meiner Straße steht fast immer ein Auto mit der Aufschrift der Albert-Schweitzer-Stiftung „Wen streicheln, wen essen?“ mit Bildern von ganz liebreizenden Tieren und Werbung für eine „Vegan Taste Week“. Die Botschaft ist immer dieselbe und sehr eingängig: Veganer sind gut und gesund, Fleischesser unterstützen Massentierhaltung, sind böse und ungesund.

Ich kann nur den Kopf schütteln über eine Welt in der alles schwarz oder weiß sein muss. Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich? Das ist eine Logik, in der offen lügende Politiker zu Regierungschefs gewählt werden: Wir müssen nur emotional entscheiden, die Welt ist einfach, ein kurzer Blick genügt und wir wissen ob wir „dafür“ oder „dagegen“ sind. Mit Verlaub: Die Welt ist alles andere als einfach. Es gibt nicht nur radikale Islamisten und Kreuzritter, sondern nahezu alle Menschen befinden sich (glücklicherweise) ziemlich weit weg von diesen Extremen. Und Emotionen in allen Ehren, aber besser ist es sich zuerst nüchtern die Fakten anzusehen. Und die Fakten sind hier: Vegan ist eher ungesund, zumindest in der derzeit von der Ernährungspyramide empfohlenen Zusammensetzung. Und jetzt haben wir das Dilemma. Fleisch ist unethisch, aber was tun?

Ethik vs. Medizin

Mich erschreckt vor allem die Nonchalance mit der mit der ein ethischer Konflikt verwendet wird um alle medizinischen Überlegungen zu umgehen. Massentierhaltung ist schlecht, also ist Veganismus gut? Leider lässt sich ein ethisches Problem eben nicht einfach in ein gesundheitliches Problem transformieren. Das Problem, ob eine vegane Ernährung gesünder oder ungesünder ist als eine fleischhaltige Ernährung, ist fundamental unabhängig von ethischen Überlegungen. Ein sicherlich extremer Standpunkt: Am gesündesten für die Tiere und Pflanzen auf unserem Planeten wäre es zweifelsohne, wenn die Menschheit von heute auf morgen aussterben würde, oder sich meinetwegen auf ein benachbartes Planetensystem beamt. Aus Sicht der Umwelt wäre es also noch besser gar nichts zu essen als sich vegan zu ernähren, korrekt? Wenn man von derart „gründlichen“ Lösungen absieht, muss man zwei grundverschiedene Fragen stellen:

  1. Wie können wir uns so ernähren dass es umweltverträglich ist (Ethik und Ökologie)? Industrielle Landwirtschaft mit Pestiziden, chemischen Düngern und Abroden natürlicher Lebensräume ist auch nicht das Gelbe vom Ei, und man darf schon hinterfragen ob dies wirklich besser ist als der Verzehr von artgerecht gehaltenen Tieren, bei denen eine Kuh auf der Wiese aufwächst, Gras frisst und dann nach Schlachtung einen Menschen wochenlang ernährt.
  2. Welche Nahrungsmittel sind für den Menschen gesund? Hier muss ich die Veganer enttäuschen: Die Wissenschaft unterstützt die These „vegan=gesund“ leider nicht. Es gibt unzweifelhaft viele gesunde vegane Nahrungsmittel, aber das unkritische Ersetzen von Fleisch und tierischen Fetten durch pflanzliche Nahrungsmittel hat uns in die aktuelle Gesundheitsmisere gebracht, in der nahezu alle chronischen Krankheiten exponentiell wachsende Fallzahlen zeigen (wie in meinem Buch ausführlich diskutiert). Hier muss man zumindest etwas Augenmaß dabei beweisen, welche veganen Nahrungsmittel wirklich gesund sind. (Und die als Fleischalternative vermarkteten Veggie-Burger oder -Würste sind oft ein Musterbeispiel für einen ziemlich toxischen Mix aus Emulgatoren, Farb- und Aromastoffen.)

Weg von der industriellen Landwirtschaft

Halten wir zunächst fest: Massentierhaltung ist schlecht. Eine Zivilisation muss sich daran messen lassen wie sie mit den Schwachen umgeht, und eine Welt in der Küken geschreddert werden und jedes Jahr hunderte Hühner für den Hähnchenbrust- und Cordon-Bleu-Bedarf eines einzelnen Menschen sterben müssen wirft ein sehr dunkles Licht auf unsere Gesellschaft. Massentierhaltung ist allerdings nicht nur aus ethischen Überlegungen schlecht, sondern auch aus knallhart gesundheitlichen Gründen: Eine nicht artgerechte Haltung und Fütterung mit Soja und Mais sorgt für eine mindere Qualität des Fleischs. So sinkt z.B. nach Studien der Omega-3-Gehalt von Fleisch massiv wenn die Tiere in Massentierhaltung aufgezogen werden. Und auch die in Soja und Mais enthaltenen Antinährstoffe (Lektine und Isoflavone) finden sich im Fleisch der damit gefütterten Tiere, nicht umsonst schmeckt ein Maishähnchen nach Mais. Von prophylaktisch angewendeten Antibiotika ganz zu schweigen, zusammen mit den Pestiziden und Düngemitteln aus dem Futtergetreide findet sich in Industriefleisch ein Gemisch aus toxischen Chemikalien, die uns schleichend vergiften.

Die traurige Wahrheit ist, dass die Evolution uns fast zu Fleischessern gemacht hat, wir bezogen früher rund zwei Drittel unserer Kalorien aus Fleisch. Wir können über die Konzentration bestimmter Isotope in den Knochen feststellen wie viel Fleisch und Fisch ein Tier konsumierte, und sogar ob andere Fleischfresser regelmäßig auf dem Speiseplan standen. Und der Mensch zu Zeiten der Jäger und Sammler war ganz unzweifelhaft einer der dominanten Fleischfresser, die regelmäßig andere Fleischfresser verspeisten. Paläopathologische Untersuchungen belegen zudem, dass Kulturen die sich überwiegend vegan ernährten (wie z.B. die Egypter zu Zeiten der Pharaonen) immer kurze Lebenserwartungen und extrem hohe Raten an Diabetes und Artherosklerose aufwiesen, wie z.B. Michael Eades ausführt. Und wie das mit der Evolution so ist: Wenn Tiere ihre Nahrungsversorgung grundlegend umstellen, dann führte das früher zu einer erheblichen Ausdünnung der Art. Nur die Tiere die gut an die neuen Nahrungsmittel angepasst waren überlebten, ein Großteil der Art starb, wenn nicht sogar die ganze Art. (Frag die Dinosauriern, die sich auch nicht einfach von anderen Pflanzen ernähren konnten als die Temperatur sank und die bisher als Nahrung dienenden Pflanzen verschwanden.) Beim Menschen ist das heutzutage anders: Die moderne Medizin hält uns am Leben. Wir sterben nicht, sondern werden in immer jüngeren Jahren krank und gleichen die nicht angepasste Nahrung mit einem enormen Aufwand an Chemie aus, so lange bis unser Gesundheitswesen unter der Last der jungen Patienten zusammenbricht. Wer sich die makroskopischen Trends anschaut erkennt ganz klar dass die derzeitige Diabetes- und Autoimmunepidemie vor ca. 50 Jahren begann, als wir tierische Fette, Fleisch und Eier zunehmend durch pflanzliche Fette und Vollkornbrot ersetzten. Nur ein Zufall?

Dazu kommt ein weiteres massives Problem der industriellen Landwirtschaft: Wir benötigen Vitamine und Spurenelemente, die in unserer Nahrung erhalten sind. Eine „natürliche“ Lebensweise führt diese Vitamine und Spurenelemente im Kreislauf bleiben: Die Stoffe werden von den Pflanzenfressern wieder ausgeschieden und dienen als Dünger für Pflanzen. Beí industrieller Landwirtschaft wandern diese Mikronährstoffe über den Menschen in die Kläranlagen und dann in die Flüsse bzw. Weltmeere, aber sie kommen nicht zurück auf die Felder. Das Problem potenziert sich wenn Getreide/Soja als Futter für Masttiere verwendet wird, da so die Böden noch schneller ihre Mikronährstoffe verlieren. Schon heute hat Gemüse und Obst weniger als halb soviele Mikronährstoffe wie noch vor 60 Jahren — verwundert es dass wir mit zunehmendem Alter krank werden, wenn unser Körper die Mikronährstoffe nicht mehr so effizient extrahiert wie bei jungen Menschen? Hier ist tatsächlich eine (artgerechte) Tierhaltung von enormen Vorteil, da die Mikronährstoffe in Fleisch meist besser bioverfügbar sind als in Pflanzen, und wir somit geringere Mengen brauchen um unseren Bedarf zu decken.

Ist vegetarische Ernährung gesund?

Ich bin kein Verfechter einer Carnivor-Diät, und die Tatsache dass wir Allesfresser sind lässt vermuten dass wir uns gesund mit einem vergleichsweise hohen Anteil an veganer oder vegetarischer Nahrung ernähren können. Allerdings muss ich auch darauf hinweisen dass es keine einzige Langfrist-Studie zur Gesundheit veganer oder vegetarischer Ernährungen gibt. Zu Zeiten von Ancel Keys, dem Vater der fettarmen Ernährung, machte man sich schlichtweg keine Gedanken darüber ob eine pflanzliche, kohlenhydratreiche Ernährung ungesund sein könne — man glaubte nur dass Fett ungesund ist, also mussten im Umkehrschluss Kohlenhydrate gesund sein. Dies sollte später durch Studien belegt werden, schlug aber immer und immer wieder grandios fehl, wie z.B. die im letzten Blog erwähnte MRFIT-Studie zeigt: Die Sterblichkeit steigt wenn tierische Fette und Fleisch durch pflanzliche Fette und Kohlenhydrate ersetzt werden. Es bleibt also nur die Frage ob dies allgemeingültig ist, oder durch die spezielle Zusammensetzung der empfohlenen Ernährung zustande kommt. Wird vegan bzw. vegetarisch gesund wenn wir auf Omega-6 und Kohlenhydratexzesse verzichten? Die Antwort auf diese Frage steht noch aus.

Allerdings fällt es mir schwer zu glauben dass eine rein vegane Ernährung langfristig gesund sein soll. Immerhin benötigen wir eine gewisse Menge an Aminosäuren, die in Pflanzen in der falschen Mischung enthalten sind (die Gesamtmenge an Protein ist problemlos erreichbar, aber einige der vielen notwendigen Aminosäuren sind nur in geringen Mengen enthalten), und wir benötigen fettlösliche Vitamine die kaum in pflanzlicher Nahrung enthalten sind (Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D). Zudem ist vegane Ernährung meist sehr kohlenhydratreich. Dies manifestiert sich nur langsam, bis es zu echten Mangelerscheinungen kommt werden einige Jahre oder Jahrzehnte vergehen. Und ich glaube gerne dass eine vegane Ernährungsumstellung kurzfristig sogar zu einem verbesserten Wohlbefinden führt, und genau das ist das Problem: Wenn sich nach vielen Jahren die Folgen in Form von Autoimmunkrankheiten oder Diabetes zeigen, dann führt man das nicht auf die vegane Ernährung zurück die uns damals so gut tat.

Wie kann man sich dann noch ernähren wenn man kein Ethikschwein sein will? Eine gesunde vegetarische Ernährung ist problemlos machbar. Der Speiseplan enthält dabei genügend tierisches Protein aus Eiern und Milchprodukten aus nachhaltiger Landwirtschaft um den Tagesbedarf an Eiweiß zu decken, sowie eine Kombination von verschiedenen Fetten, in denen Milchfett aus Weidemilch (Butter/Schmalz) und Olivenöl einen Großteil der Kalorien liefern. Bei den pflanzlichen Nahrungsmitteln muss der Fokus auf den Produkten liegen die — individuelle Unverträglichkeiten berücksichtigend — arm an Antinährstoffen wie Lektinen, Oxalaten, FODMAPs und Isoflavonen sind, zudem müssen wir die Menge der Omega-6-Fettsäuren reduzieren. Getreide, Nudeln und Brot sind reich an Lektinen und Omega-6-Fettsäuren und dürfen nicht in großen Mengen konsumiert werden. Und wir dürfen auf die Forschung hoffen: Möglicherweise sind einige Algenarten DAS gesunde und ethisch verträgliche Lebensmittel der Zukunft, immerhin sind Algen evolutionär weder Tier noch Pflanze.

Den militanten Veganern möchte ich die Worte von H.L. Mencken in Erinnerung rufen: „There is always an easy solution to every human problem: Neat, plausible, and wrong.“ („Es gibt immer eine einfache Lösung für jedes Problem der Menschheit: Elegant, plausibel und falsch.“) Das Problem der Massentierhaltung müssen wir lösen, aber sich vegan zu ernähren ist leider die falsche, einfache Antwort.

Archimedes und die bösen Fette

Wenn man mit (äußerlich) gesunden Menschen über Ernährung spricht, erntet man meistens eins: Desinteresse. Wir glauben genau zu wissen wie gesunde Ernährung aussieht: Wenig Fleisch, wenig Fett, Vollkorn, wenig Zucker und etwas Konfusion über Cholesterin (ob Eier nun erlaubt sind oder nicht kann man stets wechselnd der Tagespresse entnehmen). Diabetes können wir doch vermeiden indem wir mehr Sport machen, das bekommen nur Faule. Oder?

Fettleibigkeit in den USA. Quelle: CDC

Die Realität sieht anders aus. Studien belegen dass 9 von 10 Erwachsenen metabolisch krank sind, d.h. sie haben chronisch zu hohe Insulinspiegel und/oder eine gestörte Glukoseregulierung. Dies wird dazu führen dass sie nahezu sicher Diabetes, Demenz, Bluthochdruck, Fettleibigkeit oder Artherosklerose entwickeln werden, die Frage ist nur welche dieser Krankheiten und wann: Schaffen wir es bis zum Rentenalter, oder fallen wir schon vorher aus? Eine zynische, aber gerechtfertigte Empfehlung für die Berufswahl ist es ein Chirurg zu werden. Die Anzahl der Diabetiker hat sich seit 1960 auf über 6 Millionen verzehnfacht und kosten unser Gesundheitssystem jedes Jahr rund 35 Milliarden Euro, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird es viele Beine zu amputieren geben. 3 von 4 Menschen über 65 sind Diabetiker oder Prädiabetiker, jeder zweite Mensch über 80 ist dement, die Fallzahlen steigen teils exponentiell an. Artherosklerose, die wir seit 70 Jahren intensiv bekämpfen, stagniert. Nahezu alle modernen Ernährungsempfehlungen sind darauf konzipiert Artherosklerose zu vermeiden, mit zweifelhaftem Erfolg: Die Fallzahlen sinken nicht, lediglich die Überlebenschancen sind heutzutage dank moderner Chirurgie und schnellerer Versorgung erheblich besser.

Häufigkeit von Diabetes in Deutschland (Quelle)

Wissen(schaft) macht gesund

Und dennoch hinterfragen wir unsere Ernährungsempfehlungen nicht. Die Lethargie lässt sich vielleicht durch eine Beobachtung erklären: Ernährungsempfehlungen sind für uns abstrakt und nicht nachvollziehbar. Niemand kann selbst nachvollziehen weshalb weniger Fett gut oder schlecht sein soll. Gute Wissenschaft ist zum Anfassen: Jedes Kind kann das archimedische Prinzip in der Badewanne nachvollziehen, jeder Schüler kann die newtonschen Gesetze mit ein paar Billiardkugeln überprüfen, aber niemand kann verifizieren weshalb eine fettarme Kost den Cholesterinspiegel senken soll oder warum dies überhaupt gesund sein soll. Dabei ist Ernährungswissenschaft nicht schwierig: Die Wirkung verschiedener Hormone wie Insulin und Leptin ist inzwischen bestens erforscht. Wir wissen ganz genau wann eine Zelle Fett speichert oder freigibt, wann wir Fette oder Kohlenhydrate verbrennen, was die Blutfette beeinflusst und und was die verschiedenen Cholesterintypen machen.

Das Kohlenhydrat-Insulin-Modell erklärt ohne jede Widersprüche weshalb wir heutzutage krank und (meist) dick werden, und weshalb Autoimmunkrankheiten und Demenz auf dem Vormarsch sind. Noch besser: Es sagt uns wie wir diese Krankheiten vermeiden können. Nur hat es diese Forschung bisher nicht in die Ernährungsempfehlungen geschafft. Die Empfehlung der fettarmen Ernährung basiert auf dem Wissensstand von 1950, als wir weit weg vom heutigen Kenntnisstand über Hormone und Cholesterin waren– und die damaligen Annahmen über die Entstehung von Zivilisationskrankheiten sind lange überholt. In der Tat, wer sich nur etwas mit diesen Erkenntnissen beschäftigt dem geht es wie mit dem Schaubild auf dem man wahlweise eine Vase oder zwei Gesichter erkennt: Hat man einmal die Gesichter gesehen dann wird man nicht mehr verstehen weshalb man jemals glauben konnte dass es sich um eine Vase handelt. Genauso erscheint es mir heute ungeheuerlich, dass uns massiv Ernährungsempfehlungen gepredigt werden die direkt in die Diabetes führen.

Dies mag wie eine Verschwörungstheorie klingen. Aber welche andere Erklärung kann man für die exponentiell steigende Häufigkeit von Zivilisationskrankheiten finden? Es gibt unzweifelhaft viele Menschen die alle Empfehlungen ignorieren und sich mit Alkohol, Pommes und Schokoriegeln vollstopfen. Aber halten wir uns an Diabetes fest: Der Anteil der ungesund lebenden Menschen ist weit weg von 75%, folglich bekommen viele (vermeintlich) gesund lebende Menschen Diabetes oder Prädiabetes. Das Missachten der Ernährungspyramide ist es nicht, Statistiken zeigen dass die Ernährungsempfehlungen nicht ohne Wirkung bleiben: Im Vergleich zu 1970 essen wir mehr Kohlenhydrate, weniger Fleisch und vor allem sehr viel weniger tierisches Fett, und trotzdem steigen die Krankheitszahlen schnell an. Woran kann das liegen? Ein naheliegender Verdacht fällt auf Umweltgifte, immerhin sind wir heute umgeben von Plastik, Pestiziden und Feinstaub. All dies trägt unstrittig seinen Teil zu unseren Krankheiten bei, aber nicht im gleichen Maße wie die Ernährung. Dies lässt sich ohne Medizinstudium nachvollziehen:

  1. Einerseits gibt es Zivilisationen wie die Insel Tokelau, die bis ca. 1960 frei von allen Zivilisationskrankheiten war. Es gab einen modernen Arzt (deshalb sind die Erkenntnisse zuverlässig), aber keinen einzigen Tod durch Artherosklerose, keine Diabetes und praktisch kein Übergewicht. Die Einwohner aßen vor allem Fisch, Kokosnüsse und eine Brotfrucht. Rund 75% der Kalorien kamen von gesättigtem Fett. Dann begann der Handel, in den nächsten 20 Jahren stiegen die Importe von Mehl, Zucker, Snacks und Softdrinks deutlich an. Bereits Anfang der 80er Jahre lagen die Diabetesraten bei rund 8%, vergleichbar mit unseren Zahlen in Deutschland. Zudem kam es zu Bluthochdruck, Artheroklerose und Gicht — auf einer idyllischen Insel, fernab von jeder Industrie. Und Tokelau ist nur eine von vielen anderen (wenngleich schlechter untersuchten) Bevölkerungsgruppen, die alle das gleiche Pattern zeigen: Die Einführung kohlenhydratreicher Ernährung führt innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu allen Zivilisationskrankheiten.
  2. Andererseits wirken Interventionen, wenn man sich von der Ernährungspyramide abkehrt und Krankheiten korrekt behandelt. Die Virta-Klinik in den USA behandelt jedes Jahr tausende Diabetiker mit ketogener Ernährung, in der keine Kohlenhydrate und viele gesättigte Fettsäuren konsumiert werden. Die Remissionsrate (Langzeit-Blutzucker HbA1C sinkt unter 6,5% ohne Einsatz von Diabetes-Medikamenten) liegt bei 50% bis 60%, 94% der Patienten reduzieren oder eliminieren ihre Medikamente innerhalb eines Jahres. Behandelt man Diabetes gemäß der üblichen Leitlinien mit fettarmer Ernährung, liegt die Remissionsrate bei gerade einmal 1,4%. Und Erfolg bei der Intervention ist der Goldstandard in der Wissenschaft: Beobachtende Studien und biochemische Theorien sind schön und gut, aber erst wenn eine Behandlung spektakulär erfolgreich ist dann wissen wir dass die Theorie stimmt.

Mit Vollgas in die Diabetes

All dies lässt nur einen Schluss zu: Die Ernährungspyramide gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Dies hätte man bereits 1982 sehen können, als eine der aufwendigsten Ernährungsstudien aller Zeiten zu Ende ging, die MRFIT-Studie (Multiple Risk Factor Intervention Trial). Über 12000 Risikopatienten (die bereits klinische Fälle von Artherosklerose hatten oder zu Risikogruppen wir Rauchern gehörten) wurden für 6 Jahre betreut, die Interventionsgruppe stellte die Ernährung gemäß der Ernährungspyramide um: Pflanzliche Fette statt Butter, Vollkornbrot statt Schweinefleisch. Zudem erhielten sie intensive Beratung (mehr Sport, gesundes Essen), beispielsweise hörten in der Interventionsgruppe rund dreimal so viele Männer (und nur diese wurden betrachtet, wie damals leider üblich) mit dem Rauchen auf. Die Studie sollte die Lipidhypothese beweisen, dass Artherosklerose durch eine Reduktion von gesättigten Fetten und Fetten allgemein vermieden werden kann. Insgesamt wurden 150 Millionen Dollar verpulvert, das Ergebnis war ein grandioser Fehlschlag: Zwar sank die Häufikeit von Todesfällen durch Atherosklerose um 7% (angesichts der aufwendigen Intervention nicht sehr beeindruckend), allerdings stieg die Gesamtsterblichkeit um 7%. Das bedeutet, für jeden Menschen der nicht an Atherosklerose starb, starben 2 Menschen an Krebs, Diabetes oder anderen Krankheiten. Diese Zahlen sollten zu denken, geben, denn mehr Sport und weniger Rauchen ist unzweifelhaft gesund, und trotzdem starben die Menschen häufiger. Nur eine einzige Veränderung hatte eine ungewisse Auswirkung: Die Fettreduktion bzw. der Wechsel zu Kohlenhydraten und Pflanzenfetten waren für die höhere Sterblichkeit verantwortlich. Zu diesem Zeitpunkt hätte man sich zwingend von der Ernährungspyramide verabschieden müssen. Dummerweise war die fettarme Ernährung zum Politikum und sogar zum Wahlkampfthema geworden, zahlreiche Funktionäre hatten ihre Karriere mit der Einführung einer fettarmen Ernährung verbunden. Also wurde die MRFIT-Studie totgeschwiegen bzw. es wurde selektiv die erhöhte Sterblichkeit verschwiegen und nur die leicht verringerte Atherosklerosefälle als Erfolg herausgestrichen.

Weshalb werden unsere Ernährungsempfehlungen immer noch aufrechterhalten? Warum pfeifen nicht die Spatzen von den Bäumen dass wir nur unsere Ernährung umstellen müssen um gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden? Den englischsprachigen Lesern empfehle ich ein Video von Dr. Jason Fung über die Verstrickung finanzieller Interessen in der Medizin und Ernährungswissenschaft. Nahezu alle Ernährungs-Studien werden direkt oder indirekt über das Sponsoring von Forschungsinstituten von der Ernährungsindustrie gesponsort, und kommen deshalb nicht zum einzig richtigen Schluss: Wir müssen wieder weg von abgepackten, lange haltbaren Lebensmitteln. Eine gesunde Ernährung besteht nahezu ausschließlich aus den Lebensmitteln die wir in den Außenregalen der Supermärkte finden, Dinge die schnell verderben können wie Salat, Gemüse, Milch- und Fleischprodukte. Diese Botschaft ist natürlich bei den Studien-Geldgebern nicht sehr populär.

Vegetarische Glaubenskrieger

Die Öffentlichkeit wird derweil weiter im Glauben belassen dass die Ernährungsempfehlungen wissenschaftlich fundiert sind. Die Gesundheit vegetarischer Ernährung nach der Ernährungspyramide wird medienwirksam von Ärzten wie Dr. Katz propagiert. (Katz verdient übrigens sein Geld mit zahlreichen Firmen, die allesamt vegetarische Ernährung vermarkten. In Vergangenheit erhielt er einen Eintrag auf quackwatch, weil er argumentierte dass wir in der Ernährungswissenschaft keine randomisierten Studien brauchen.) Katz verwendet zwei Typen von Studien:

  • Einerseits werden ideale Veggie-Ernährungen mit der realen westlichen Ernährung verglichen, und da gewinnen sie natürlich (Salat und Vollkornbrot schlagen Pommes und Schokoriegel).
  • Andererseits werden pflanzliche Lebensmittel als gesund angepriesen weil sie den Cholesterinspiegel senken.

Das Problem daran: Wir wissen seit Jahrzehnten dass eine ernährungsbedingte oder medikamentöse Senkung des Cholesterinspiegels sich nicht positiv auf die Langlebigkeit auswirkt (wie nicht nur die oben genannte MRFIT-Studie zeigt). Das Gemengelage ist allerdings sehr unübersichtlich, und die Front verläuft nicht zwischen Fleischessern und Vegetariern. Es ist natürlich möglich sich gesund vegetarisch zu ernähren, genau wie eine fleischlastige Ernährung sehr ungesund sein kann. Das Problem ist nur, dass die empfohlenen Ersetzungen nicht funktionieren: Nach der Ernährungspyramide sollen wir Omega-6-reiche Pflanzenöle statt tierischem Fett und Kohlenhydrate statt Fett allgemein verwenden, und dies ist der Weg zur dunklen Seite (Diabetes und Fettleibigkeit). Eine gesunde vegetarische Ernährung vermeidet raffinierte Kohlenhydrate (Zucker und Mehlprodukte) und getreidebasierte Öle, und setzt verstärkt auf Gemüse, Salat, Olivenöl und Kokosöl.

Ärzte wie Dr. Katz, der erst kürzlich im Spiegel ausführlich die Gesundheit vegetarischer und veganer Ernährung pries, kämpfen im übrigen mit harten Bandagen. Erst neulich sollte ein hochqualitativer, peer-reviewter Artikel erscheinen, der sich intensiv mit der Methodik der Studien zur Schädlichkeit von rotem Fleisch beschäftigt. (Es geht also darum, die „schlechten“ Studien von den „guten“ Studien zu trennen.) Er kommt zum Schluss, dass viele der Studien zweifelhaft sind und die Ergebnisse verworfen werden sollten, und es keine Grundlage gibt um generell vom Konsum von rotem Fleisch abzuraten. Dies führte zu einer heftigen Reaktion, die in einem sehr lesenswerten Artikel im renommierten JAMA-Journal aufgearbeitet wird: Die durch Katz geführte True Health Initiative versuchte die Veröffentlichung dieses Artikels verhindern, mit Mitteln die tief unter der Gürtellinie treffen und sogar die Grenze der Legalität verletzen (wie z.B. die Blockierung von Maiboxen durch automatisierte Massenmails). Als dies nicht gelang starteten sie eine Diffamierungskampagne zur Diskreditierung der Autoren diskreditieren. Unter anderem argumentierten sie, dass die Autoren von der Fleischindustrie gekauft wären. Dies mag jeder selbst beurteilen: Einer der Autoren hatte tatsächlich eine einzige Studie von der Fleischindustrie finanzieren lassen, dies erfolgte aber mehr als 3 Jahre vor der genannten Studie. Zudem finanziert die Fleischindustrie ca. 1,5% des Budgets von AgriLife (wodurch angeblich ein Interessenkonflikt zustande kommen soll), aber rund die Hälfte des Budgets kommt von Institutionen wie dem U.S. Department of Agriculture (Landwirtschaftsministerium). Außerdem: Wer im Glashaus sitzt… Katz verdient nicht nur viel Geld durch seine veggie-affinen Firmen, sondern liess sich auch noch zahlreiche teure Studien durch die Agrarindustrie bezahlen.

Bringt Wissenschaft in die Ernährungswissenschaft!

Uns bleibt nur Fassungslosigkeit, wenn wir sehen wie die Wahrheit durch populistische Grabenkämpfe unter die Räder kommt. Und dies ist kein Einzelfall, Bücher wie „The big fat surprise“ von Nina Teichholz oder „Good Calories, Bad Calories“ von Gary Taubes erzählen unzählige vergleichbare Geschichten: Die Wahrheit verliert immer, wenn persönliche Egos von Funktionären oder sogar finanzielle Interessen der „global player“ angegriffen werden. Anstelle einer sachlichen Debatte erhalten wir Diffamierung, Propaganda und Religion (anders kann der wissenschaftlich völlig unfundierte Glaube an die Gesundheit fettarmer und/oder veganer Ernährung nicht bezeichnet werden), anstelle schädlicher Inhaltsstoffe in unserer Nahrung sollen die Todsünden Völlerei und Trägheit an unseren Krankheiten schuld sein.

Es wird sich nichts ändern, bis wir endlich Wissenschaft in die Ernährungswissenschaft bringen. Die grundlegenden Pinzipien der Ernährungswissenschaft sind nicht komplizierter als das archimedische Prinzip und gehören genauso wie Chemie oder Mathematik in den Lehrplan der Schulen. Wenn die wichtigsten biochemischen Prinzipien in das Allgemeinwissen eingehen, dann werden wir bald kollektiv erkennen dass die Mär von den bösen Fetten genausowenig stimmt wie die Theorie dass die Erde flach ist und die Sonne um die Erde kreist. Dies wird aber noch lange dauern, bis dahin bleibt nur die individuelle Vorsorge. Wer die Augen öffnet und sich von Dogmen löst kann Zivilisationskrankheiten vermeiden, und es ist nicht einmal schwer.

OMAD vs. 3MAD, oder ist Intervallfasten nur Schmu?

Gestern stolperte ich über das Youtube-Video von Thomas DeLauer, in dem er ausführlich erklärt dass OMAD (one meal a day, eine Mahlzeit am Tag) schlechter wäre als 2MAD (2 Mahlzeiten am Tag). 6000 „Likes“ gegen 150 „Dislikes“ versprachen Erkenntnisgewinn für ein kontroverses Thema, der „Play“-Button war schnell geklickt. Was steckt drin?

Hauptargument ist eine Studie in der 3 Mahlzeiten am Tag (3MAD) mit einer Mahlzeit am Tag verglichen wird. Die Probanden waren gesunde, nicht übergewichtige Männer mit einem durchschnittlichen HOMA-IR von 1.2, d.h. weit weg vom metabolischen Syndrom. Nach 8 Wochen war die Glukosetoleranz bei den OMAD-Probanden erheblich schlechter als bei den 3MAD-Probanden, die Glukose wurde bei einem oralen Glukosetoleranztest langsamer abgebaut als bei der Vergleichsgruppe und die Insulinspitze bildete sich etwas später aus. Huch? Unabhänhgig von der Art der Diät hat sich Intervallfasten als effektive Maßnahme zur Gewichtskontrolle bzw. -Reduktion erwiesen, so dass ein Auslassen von Mahlzeiten keine negative Auswirkungen auf die Glukosekontrolle haben sollte. Was geht schief?

Studien kontra gesunder Menschenverstand

Überspitzt könnte man diese Studie als Musterbeispiel für unsere Ernährungsmisere bezeichnen. Für wissenschaftliches Arbeiten ist es zwingend notwendig dass eine neue Theorie gegen bestehende Theorien validiert wird. Das vorliegende Studienergebnis widerspricht unserem gesunden Menschenverstand, bei allen Wirrungen in der Ernährungswissenschaft ist die Tatsache vergleichsweise unstrittig dass Intervallfasten für viele Menschen zu merklichen Gesundheitsverbesserungen führt. Das macht das Ergebnis nicht falsch, aber erfordert von den Autoren eine deutlich höhere Sorgfaltspflicht: Das Ergebnis muss durch das verwendete Stoffwechselmodell validiert und der Widerspruch zu den makroskopischen Beobachten diskutiert werden. (Schöne Grüße an Richard Feinman.) Natürlich findet sich weder das eine noch das andere in der Studie. Dabei ist die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs kein Hexenwerk und wird jetzt hier nachgeholt (schöne Grüße an die Autoren).

Exkurs: Das metabolische Syndrom (und somit eine schlechte Glukosetoleranz) wird dadurch ausgelöst dass wir unseren Stoffwechsel überlasten. Wir konsumieren mehr Kohlenhydrate als unsere Vorfahren, diese werden schneller im Darm aufgenommen (raffinierte Kohlenhydrate wie Zucker und Weißmehl gehen nahezu sofort ins Blut während Kohlenhydrate aus Früchten und stärkehaltigem Gemüse durch die Ballaststoffe über einige Stunden verdaut werden) und wir sorgen zudem für eine Doppelbelastung aus Fett und Kohlenhydraten, die weder unsere Leber noch unsere Mitochondrien effektiv verwerten können. (In freier Natur gibt praktisch nie eine Kombination von Fett und Kohlenhydraten, alle Nahrungsmittel sind entweder fettreich und kohlenhydratarm wie z.B. Fleisch/Eier oder fettarm und kohlenhydratreich wie Früchte oder Kartoffeln). Abstrahieren wir mal von den anderen Faktoren wie chemischen Lebensmittelzusätzen, stark verarbeiteten Lebensmitteln und Umweltfaktoren: Je größer und schneller die Belastung durch Glukose, desto schneller werden wir insulinresistent. (Eine Lawine ist schlechter als 3 Monate Schneefall.)

In der zitierten Studie wurde eine typische amerikanische Ernährung verwendet, die hoch in raffinierten Kohlenhydraten ist. Die Probanden sollten so viel essen dass sie ihr Gewicht halten, die Zusammensetzung der Nahrung war aber vorgegeben. Somit essen alle Probanden dieselbe Menge an Kohlenhydraten, entweder auf drei Mahlzeiten am Tag verteilt oder alles in einem Rutsch. Hier konsumieren wir bei OMAD eine viel größere Kohlenhydratmenge in kurzer Zeit als bei 3MAD, Leber und Bauchspeicheldrüse werden dreimal so sehr gestresst und es kommt zu Überlast und Insulinresistenz. Die darauf folgende Fastenzeit (nach Studiendesign mindestens 20 Stunden) kann dies nicht kompensieren, zumal die Glykogenspeicher gefüllt bleiben und wir niemals auf Ketonverbrennung umschalten. Musste man dafür wirklich eine Studie machen?

Intervallfasten

Warum funktioniert Intervallfasten dann, ganz klassisch mit 1-2 Mahlzeiten am Tag? Dazu muss man sich klarmachen dass Intervallfasten langfristig nur gut geht wenn wir insulinsensitiv sind oder kohlenhydratarm essen. In einer 16-Stunden-Essenspause muss der Körper von Kohlenhydratverbrennung auf Ketonverwertung umschalten, dies machen metabolisch gesunde Menschen ganz automatisch. Wenn jemand dagegen insulinresistent ist dann blockieren hohe Insulinspiegel die Fettverbrennung, wir laufen schon vor Ablauf von 16 Stunden in eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) und ein Energiedefizit und müssen essen. Einzig und allein eine kohlenhydratarme Ernährung, in der wir sowieso meist in Ketose sind, vermeidet den Crash und sorgt dafür dass wir 16 Stunden und länger durchhalten.

Und jetzt kommen wir zum Knackpunkt der Studie: Sie ist schlichtweg nicht praxisrelevant, denn die Menge der konsumierten Kohlenhydrate (und Gesamtkalorien) bleibt beim Intervallfasten nicht gleich. Niemand stopft sich am Abend 3 Teller Nudeln in den Bauch anstelle zum Frühstück, Mittagessen oder Abendessen je einen Teller zu essen (oder eine vergleichbare Menge an Kohlenhydraten als Müsli oder Brot). Insulinsensitive Menschen könnten dies sicherlich tun, werden aber tendenziell sowieso nicht zu viele Kohlenhydrate essen (sonst währen sie nicht insulinsensitiv). Insulinresistente Menschen dagegen schaffen Intervallfasten nur mit einer Kohlenhydratreduktion, was automatisch zu den üblichen gesundheitlichen Verbesserungen führt.

Bei einer kohlenhydratarmen Ernährung haben wir eine völlig andere Situation. Bei OMAD bleibt die Gesamtbelastung von Leber und Bauchspeicheldrüse geringer: Die Umwandlung von Fett in „Treibstoff“ in der Leber ist weniger belastend als die Umwandlung von Kohlenhydraten zu Triglyzeriden, und die Bauchspeicheldrüse muss bei Fettkonsum sowieso nicht viel tun. Zudem entfällt die so kritische Doppelbelastung von Fett und Glukose.

Bleibt am Ende nur die Frage, warum DeLauer hier unkritisch eine Studie verwendet die unserem gesunden Menschenverstand widerspricht? Hat dies damit zu tun, dass die Menschen bei OMAD weniger von der von ihm vertriebenen Knochenbrühe (die im Video massiv als ideale Zwischenmalzeit beworben wird) konsumieren? Oder ist einfach ein kontroverse Thema ein guter Klickfang, der ein paar Cents durch das Youtube-Marketing verspricht? Mir ist es egal, am Ende bleibt ein „Dislike“ und ich weiß dass ich auf DeLauers Videos in Zukunft verzichten werde.