Fasten (2)

Ich habe kürzlich wieder 5 Tage gefastet. Und auch diesmal war das Erlebnis grundlegend anders als ich zum letzten Mal darüber schrieb, weshalb ich das Thema erneut aufgreifen möchte.

Pro und Contra

Eine Warnung vorweg: Wer blutzuckersenkende Medikamente wie Insulin oder SGLT-2-Hemmer nimmt sollte keinesfalls allein Fasten, sondern dies nur unter engmaschiger ärztlicher Aufsicht tun. Diese Medikamente müssen beim Fasten abgesetzt werden.

Metformin-Einnahme beim Fasten ist meines Wissens unbedenklich da Metformin den Blutzucker nicht direkt senkt, es kann aber zu Verdauungsproblemen führen. Ggf. wird die Metformin-Einnahme beim Fasten unterbrochen, sofern der Blutzucker in akzeptablen Bereichen bleibt. Auf jeden Fall muss das Fasten mit dem behandelnden Arzt begesprochen werden.

Zu allererst: Der Nutzen von langem mehrtägigem Fasten ist wissenschaftlich umstritten. Studien wurden leider seit 40 Jahren nicht mehr gemacht, da Fasten derzeit als „unethisch“ gilt. (Idiotie!)

Die wesentlichen Effekte des Fastens bekommt man auch mit einer ketogenen Ernährung, gekoppelt mit Intervallfasten: Der Blutzucker ist niedrig, der Körper baut ganztägig einen Ketonspiegel auf und das „Aufräumen“ kommt in Gang. Allerdings beginnen einige Prozesse nach 16 Stunden Fasten gerade erst, etwa die Autophagie (programmierter Zelltod, bei dem besonders geschädigte Zellen eliminiert werden) durch das Absinken von mTOR. Deshalb fallen diese Effekte beim Fasten erheblich stärker aus. Der Blutzucker (und das daran gekoppelte Insulin) sinken deutlich unter die üblichen Nüchternwerte zwischen 90 und 100 ab, der Insulin-Gegenspieler Glukagon (ein katabolisches Botenstoff) steigt und der Körper kommt in die sogenannte „tiefe Ketose“ mit Ketonspieglen von deutlich über 3 mmol/l (aber weit unter dem gefährlichen Bereich der Ketoazidose). Deshalb ist mehrtägiges Fasten eine „Intensivkur“ gegen Insulinresistenz und das metabolisches Syndrom. Zudem berichten viele Patienten von vermeintlich unheilbaren Autoimmunkrankheiten über Besserung oder sogar Heilung durch langfristiges Fasten. In Russland gibt es zahlreiche Fastenkliniken in denen die Patienten rund 3 Wochen lang unter ärztlicher Aufsicht fasten — offensichtlich oft erfolgreich. (Der Arte-Beitrag „Altes Wissen und neueste Forschung“ dazu ist leider nicht mehr in der Mediathek verfügbar, soll aber auf Youtube abrufbar sein.)

Die Kehrseite des Fastens darf auch nicht verschwiegen werden:

  • Durch einen schnellen Abbau von Fettgewebe werden die dort enthaltenen Giftstoffe (wie z.B. Weichmacher und Pestizide) in den Körper freigesetzt, was bei geschädigtem Entgiftungssystem zu heftigen Beschwerden führen kann. Für einige Menschen ist ein langsameres Abnehmen definitiv sinnvoller.
  • Bei der heutigen westlichen Ernährung ist die Versorgung mit Mikronährstoffe problematisch. Nicht nur dass wir uns einseitiger ernähren als früher, sondern die Lebensmittel haben auch einen deutlich geringeren Gehalt an Spurenelementen. Dies kann bei längerfristigem Fasten zu Beschwerden führen, weshalb eine Zufuhr von Mikronährstoffen empfehlenswert ist. Dies gelingt am besten mit selbstgekochten Gemüse- und Knochenbrühen, was neben Wasser, Tee und Kaffee als einzige „Nahrung“ konsumiert wird.
  • Je länger man fastet, desto mehr sinkt der Grundumsatz des Körpers. Dies bedeutet nicht nur Frieren während des Fastens (der Körper spart Energie), sondern auch noch Monate nach dem Fasten läuft der Körper im Sparmodus. Je länger wie fasten, desto extremer und länger sind wir im Energiesparmodus – im schlimmsten Fall sogar viele Jahre lang. Dieser Effekt tritt vor allem ab dem dritten oder vierten Fastentag auf — kürzeres Fasten hat keinen nennesnwerten Einfluss auf den Ruheenergieverbrauch.
  • Für Menschen mit metabolischem Syndrom, die sich vor dem Fasten kohlenhydratreich ernähren, kommt ein weiteres, großes Problem dazu: Die „Keto-Grippe“. Der Körper stellt sich nur sehr langsam auf Fettverbrennung um, wodurch das Fasten nach 2-3 Tagen zur kaum erträglichen Tortur wird. Die üblichen Gegenmaßnahmen (MCT-Öl/Kokosöl und reichliche Aufnahme an Fett) lassen sich beim Fasten nicht anwenden.

Wann und wie lange Fasten?

Deshalb kann ich keine universelle Empfehlung für oder gegen ein längeres Fasten abgeben.

  • Wenn es um Vorsorge für gesunde Menschen geht, ist zeitbeschränktes Essen (Intervallfasten mit einem Fenster von max. 8 Stunden für das Essen) die am einfachsten zu realisierende Lösung.
  • Bei fortgeschrittenem metabolischen Syndrom (z.B. Langzeitblutzucker im prädiabetischen Bereich, grenzwertig überhöhter Blutdruck oder Fettleibigkeit) können Fastenphasen die Heilung stark beschleunigen. Dabei kann man z.B. 3 Fastentage pro Woche einlegen oder einfach nur an jedem zweiten Tag essen, oder einen festen Zyklus einhalten (wie 3 Tage Essen gefolgt von 2 Tage Fasten). Einige Menschen können ihr metabolisches Syndrom nur durch mehrtägiges Fasten überwinden.
  • Besonders bei hartnäckigen Gesundheitsbeschwerden ist ein längerfristiges Fasten von bis zu 2 Wochen auf jeden Fall einen Versuch wert. Dabei würde ich aber davon abraten sich bei Problemen „durchzubeißen“: Hat sich das Fasten nach 2-3 Tagen nicht eingependelt oder werden die Beschwerden nach dieser Zeit sogar schlimmer, sollte man das Fasten lieber abbrechen. (Mein persönliches Limit liegt — trotz immer noch reichlich vorhandenem Übergrwicht — aktuell bei 4-5 Tagen, danach ist meine durch ME/CFS bedingte Erschöpfung so stark dass ich kaum noch den Gang in die Küche oder auf die Toilette schaffe.)

Mythen und Legenden

Aber räumen wir mit einigen weitverbreiteten Fehlinformationen auf.

  1. Die wichtigste Empfehlung findet sich nicht in den üblichen Ratgeber: Vor dem Fasten sollte man fettadaptiert sein, d.h. sich entweder kohlenhydrat ernähren oder eine Umstellung auf kohlenhydratarmes Essen ist für mindestens 3 Tage möglich. Andernfalls droht die „Keto-Grippe“, die schon unangenehm ist wenn man nicht fastet.
  2. Ein Entlastungstag vor dem Fasten ist nicht notwendig. Allerdings empfiehlt es sich am Tag vor Fastenbeginn streng ketogen und mit hohem Fettanteil zu essen, was den Übergang ins Fasten erleichtert.
  3. Die obligatorische Darmentleerung am ersten Fastentag gelingt meist auch mit reichlich Magnesium (z.B. ein Magnesiumcitrat-Pulver) sowie etwas Apfelessig, mit Abführmitteln muss man sich nicht zusätzlich belasten. Aber auch hier sollte man sich nicht zu viele Gedanken machen, unser Darm funktioniert weiter und entledigt sich der Essensreste im Zweifelsfall auch nach ein paar Tagen.
  4. Das tägliche Wiegen verrät meist nicht den bisher erreichten Gewichtsverlust, der besonders in den ersten Tagen durch verlorenes Wasser bestimmt wird.
  5. Zur Motivation darf dagegen der Blutzucker dienen, der nach rund 3 Tagen hoffentlich durchgängig deutlich unter dem normalen Nüchternblutzucker liegt.
  6. Eine Stabilisierung oder sogar Euphorie nach 2-3 Tagen mag bei einigen Fastenden eintreten, ist aber nicht die Regel. Ist der Körper an Fettverbrennung gewöhnt dann gibt es nicht zu stabilisieren – nach ungefähr 24 Stunden hat sich der Körper vollständig auf das Fasten eingestellt. Umgekehrt wird eine Stabilisierung bei kohlenhydratreicher Ernährung und hohen Insulinspiegeln erst nach bis zu 2 Wochen eintreten, nach ca. 3 Tagen ist man auf dem Höhepunkt der „Keto-Grippe“ mit schlimmen Beschwerden angekommen. Und wie schon oben beschrieben werden bei Menschen mit Entgiftungsstörungen die Beschwerden im Laufe des Fastens immer weiter zunehmen.
  7. Keine Angst vor einem Muskelschwund. Dies oder sogar Verlust von Gehirnmasse sind reine Mythen: Wir verlieren pro Fastentag anfänglich 12-15 Gramm Protein pro Tag, dies reduziert sich mit zunehmender Fastenzeit weiter auf bis zu 4-5 Gramm pro Tag. Das Verlust dürfte vor allem von abgebautem Fettgewebe kommen, das auch Bindegewebe (=Protein) enthält. Abgebaute Muskelmasse würde übrigens nach dem Fasten innerhalb weniger Tage wieder aufgebaut.
    Allerdings verringert sich die Muskelmasse natürlich wenn wir während des Fastens nur auf dem Sofa liegen. Was nicht am Fasten liegt sondern am fehlender Bewegung…
  8. Es ist normal dass unser Gewicht in den Tagen nach dem Fasten wieder etwas ansteigt — das verlorene Wasser wird wieder eingelagert.

Gewichtsverlust

Ganz generell ist häufiges, längerfristiges Fasten kein gutes Mittel für einen Gewichtsverlust. Zwar nimmt man während des Fastens gut ab, dies wird aber durch den nachfolgenden Energiesparmodus schnell kompensiert und das verlorene Gewicht wird schnell wieder aufgebaut. Will man nur Abnehmen, dann empfiehlt sich am ehesten ein OMAD-Regime (eine Mahlzeit pro Tag).

Aber natürlich verliert man mit dem Fasten ein paar Kilo. Der Gewichtsverlust schwankt extrem von Mensch zu Mensch. Rein physiologisch verbrauchen wir nur rund 2kg Fettgewebe pro Woche, weil ein Kilo mit rund 7.500 Kalorien den Energiebedarf von 3-4 Tagen deckt. Jeglicher weiterer Gewichtsverlust entsteht nur, weil wir Wasser ausscheiden. (Und das Wasser ist nach dem Fasten schnell wieder gespeichert.) Wir können viele Liter Wasser in den ersten Tagen verlieren, da

  1. die Glukosevorräte in unserem Körper (als Glykogen, bis zu 500g) in bis zu 2 Liter Wasser gebunden sind,
  2. die Wassermenge von der Elektrolytmenge abhängt (die beim Fasten meist abfällt, selbst wenn man mit Salz und Brühe kompensiert) und vor allem
  3. bei Insulinresistenz oft die Nierenfunktion eingeschränkt ist, was zu Wassereinlagerungen führt. Beim Fasten fangen die Nieren durch den sinkenden Insulinspiegel wieder an besser zu arbeiten und eliminieren das eingelagerte Wasser.

Fazit

Die Wirkung des Fastens kann man erst bewerten wenn man wieder einige Tage lang gegessen hat. Ich beobachte zumindest für einige Wochen einen deutlich gestiegenen Energiespiegel — den Gewichtsverlust (nach Stabilisierung) von rund 2kg nehme ich gerne mit.

Gute Vorsätze, und die Relevanz der Gesamtsterblichkeit

Jetzt ist die Zeit, wo man (und frau) sich gute Vorsätze für das nächste Jahr fasst. Viele werden sich Abnehmen mit „mehr Sport, weniger Essen“ vornehmen und scheitern. Ich habe dagegen einen sehr speziellen, abstrakten Weihnachtswunsch, dessen Erfüllung leider extrem unwahrscheinlich ist: Ich wünsche mir, dass eine sehr spezielle Bevölkerungsgruppe die richtigen Vorsätze fasst. Ich wünsche mir, dass Wissenschaftsredakteure großer Medien sich vornehmen, in Zukunft die Artikel zu lesen über die sie schreiben (und nicht nur abzuschreiben was eine Medienagentur berichtet, oder bestenfalls die Zusammenfassung zu überfliegen). Und ich wünsche mir, dass die Gesamtsterblichkeit die notwendige Aufmerksamkeit erfährt.

Zweifelhafte Ernährungswissenschaft

Schaut man in die Spalten der Ernährungswissenschaft, dann muss man kein Experte sein um festzustellen dass es hochgradig widersprüchliche Aussagen gibt, die teils wenige Tage nacheinander in den Schlagzeilen sind. Intervallfasten ist wahlweise ein Heilsbringer oder völlig nutzlos, veganes Essen ist wahlweise gesünder als Fleisch oder führt zu Mangelerscheinungen, Fleisch oder Eier sind wahlweise gesund oder schädlich, zum Abnehmen gibt 20 verschiedene Rezepte, die alle das einzig richtige sind.

Liebe Leute: Das ist grober Unfug und keine Wissenschaft. Ihr Redakteure macht euch lächerlich, wenn ihr jeden Tag etwas anderes schreibt. Fleisch kann nicht gleichzeitig gesund und ungesund sein.

Grundprinzipien der Wissenschaft

In der Wissenschaft erhalten wir dann reproduzierbare Ergebnisse, wenn wir den Testaufbau vernünftig machen. Überprüfe ich die Gesetze des elastischen Stoßes, beispielsweise mit Billiardkugeln auf einer glatten Oberfläche, dann werde ich immer exakt dieselben Ergebnisse erhalten. Schief geht es nur, wenn ich Orangen statt Billiardkugeln oder Strand statt eines glatten Tisches nehme.

Dies gilt auch in der Ernährungswissenschaft: Wenn ich ein gut durchdachtes Experiment in eine Studie gieße, dann werden die Ergebnisse reproduzierbar sein — wenn nicht, dann war das Experiment nicht gut durchdacht und ich habe im Aufbau oder bei der Auswahl der Probanden geschlampt. (Dasselbe Experiment mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen kann zu verschiedenen Ergebnissen führen.)

Nun wird die Ernährungswissenschaft leider gern als Demokratie aufgefasst und nicht als Wissenschaft. Wenn es Widersprüche gibt, dann werden sogenannte Metastudien gemacht, die dann genauso widersprüchlich sind (je nachdem welche Studien eingeschlossen werden). Was soll das bringen? Wenn zu einer bestimmten Frage („Führen zuckerhaltige Getränke zu Übergewicht?“) 26 von 60 Studien keinen Zusammenhang sehen während 34 Studien die Frage mit „ja“ beantworten (wie eine Literaturrecherche von 2016 ergibt), dann ist es keine Lösung noch weitere 60 Studien zu machen und auf eine klare Mehrheit für die eine oder andere Seite zu hoffen. Und auf keinen Fall „gewinnt“ die Seite mit mehr Studien. Nein, man sollte schon genau hinschauen wie sich die Studien unterscheiden und warum sie zu verschiedenen Ergebnissen kommen. (Ein offensichtlicher Unterschied, wie in der vorliegenden Analyse herausgearbeitet, war die Finanzierung. 25 der 26 zuckerfreundlichen Studien wurden von der Zuckerindustrie finanziert, während nur 1 der 34 zuckerkritischen Studien diese Verbindung hatte. Was natürlich nicht die entscheidende Frage beantwortet: „Warum kommen die Studien zu verschiedenen Ergebnissen?“)

Gesunder Menschenverstand

Des Pudels Kern ist oft die Frage was man als „gesund“ interpretiert. In meiner Welt ist „gesund“, wenn Menschen länger leben und seltener krank werden. Kürzer: Die Gesamtsterblichkeit muss sinken. In der Ernährungswissenschaft wird dagegen erstaunlich oft untersucht, ob einzelne Parameter sich verändern: Nahezu universell wird etwas als „gesund“ bewertet, wenn durch eine Intervention ein einzelner Parameter wie z.B. Cholesterin oder C-reaktives Protein sinkt. Die Gesamtsterblichkeit wird meist ignoriert.

Der einzige Grund weshalb z.B. mehrfach ungesättigte Fettsäuren (überwiegend aus Omega-6, der Hauptbestandtteil in Rapsöl, Sonnenblumenöl und anderen Ölen die aus Getreide oder Mais gewonnen werden) als gesund eingeschätzt werden ist eine Cholesterinsenkung. Dabei ist inzwischen unstrittig dass selbst das vermeintlich „böse“ LDL-Cholesterin nicht zu Herzinfarkten führt (vgl. zum Beispiel diese umfassende Literatursuche). Ganz im Gegenteil: Erhöhte Cholesterinwerte führen statistisch zu einem längeren Leben (vgl. etwa das systematische Review von Ravnskov, Diamond und anderen). Umgekehrt wird also ein Schuh daraus: Eine Vermeidung von Omega-6-Fettsäuren ist gesund.

Beobachtende Studien

Andere Studien ergeben unsinnige Ergebnisse, weil ein statistischer Zusammenhang falsch interpretiert wird. Aus einer Korrelation (zwei Werte hängen zusammen) wird eine falsche Ursache-Wirkung-Beziehung konstruiert. Ein hypothetisches Beispiel: Eine beobachtende Studie könnte beispielsweise ergeben, dass Menschen nach Eiskonsum häufiger ertrinken. Dabei hat das nichts mit dem Eis zu tun: Menschen schwimmen vor allem bei warmen Wetter, und bei warmen Wetter wird mehr Eis konsumiert. Es gibt eine Korrelation (wenn viel Eis gegessen wird dann ist es warm, mehr Menschen schwimmen und mehr Menschen ertrinken), aber keinen ursächlichen Zusammenhang.

Genau diese Fehler werden oft bei ernährungswissenschaftlichen Studien gemacht. So behauptet z.B. eine Studie im renommierten „Lancet“, dass Kohlenhydratreduktion angeblich zu erhöhter Sterblichkeit führe. Die Studie hat zahlreiche systematische Fehler und hätte niemals einen wissenschaftlichen Review-Prozess bestehen dürfen. (Eine prägnant kurze Aufstellung dieser Fehler kann man z.B. im Kommentar von Zoe Harcombe nachlesen.) Um nur ein Problem herauszunehmen: Kohlenhydratarme Ernährungsformen widersprechen den üblichen Ernährungsempfehlungen und werden vor allem von Menschen eingesetzt die ihre gesundheitlichen Probleme nicht mit einer ernährungspyramidenkonformen Ernährung lösen können. Wer ketogen isst, der tut das mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund von bestehenden Krankheiten. Ergo sind Menschen mit ketogener Ernährung mit höherer Wahrscheinlichkeit krank als Menschen mit westlicher Ernährung (denn warum würden sie sonst ketogen essen). Daraus kann man aber nicht schlussfolgern dass die ketogene Ernährung Schuld an der Krankheit ist!

Beobachtende Studien sollte man generell mit Skepsis betrachten. Eine Untersuchung kam 2011 zu dem Ergebnis „Any claim coming from an observational study is most likely to be wrong.“ (Beobachtende Studien liefern meistens ein falsches Ergebnis). Die Mehrheit der Ergebnisse von beobachtenden Studien wird später revidiert –die Ursachen sind vielfältig, aber oft wurde fälschlich eine kausale Beziehung angenommen obwohl es nur eine Korrelation gab. Und leider ist die Mehrheit der ernährungswissenschaftlichen Studien beobachtend, da Interventionsstudien mit den benötigten hohen Teilnehmerzahlen extrem aufwendig und teuer sind, und deshalb selten durchgeführt werden.

Gesamtsterblichkeit im Fokus

Die zahlreichen Widersprüche der Ernährungswissenschaft lösen sich auf wenn Studien sauber entworfen sind. Gute Studien betrachten die Gesamtsterblichkeit gemeinsam mit Laborparametern, und sind vorsichtig bei der Interpretation von statistischen Korrelationen.

Liebe Wissenschaftsredakteure, ich bitte euch: Lest die Studien über die ihr berichtet, schaut zumindest in den Abschnitt „Methoden“. Und wenn es beobachtende Studien sind oder der Begriff „Gesamtsterblichkeit“ nicht vorkommt dann ist höchste Skepsis angebracht.

Gesamtsterblichkeit ist wichtiger als ein Cholesterinspiegel.

COVID-19-Sterblichkeit, Update Oktober

Dies sind eigentlich 2 Beiträge für Twitter, aber das ist nicht mein Medium. Zusammenfassung: Bei einer Infektion mit COVID-19 könnten eine strenge Glukosekontrolle (niedrige Insulinspiegel) sowie Gaben von Vitamin D die Überlebenschancen deutlich steigern.

Meine Einschätzung von April bleibt unverändert: Thromben könnten für die meisten Corona-Todesfälle ursächlich sein. Die Hochrisikogruppen sind Atherosklerose-Patienten. Ein öffentlich einsehbarer Bericht von 10 Autopsien auf Youtube findet auch bei jungen Patienten (in den 20ern) Thromben sowie deutliche Anzeichen von (Prä)Diabetes (Fettleber und Pankreatitis). Auch wenn dies nicht vor einer Infektion schützt: Die Überlebenschancen bei einer Corona-Infektion lassen sich möglicherweise erheblich durch eine strikte Low-Carb-Ernährung verbessern. (Den Zusammenhang zwischen Insulin, Low-Carb-Ernährungen und Atherosklerose erläutere ich in meinem Buch.)

Bemerkenswert ist zudem diese kleine Studie: „Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study„. Gabe von hochdosiertem Vitamin D (20.000 IU am Tag) könnte schwere Corona-Verläufe verhindern. Von 50 Patienten musste nur einer auf die Intensivstation. Dagegen kamen 13 von 26 unbehandelten Patienten in der Kontrollgruppe auf die Intensivstation, 2 starben. Diese Behandlung folgt der „Bradykinin-Hypothese“ für die Corona-Schäden. Ein gut gepflegter Vitamin-D-Spiegel dürfte bei einer Infektion sicherlich nicht schädlich sein.

All dies ist natürlich nicht notwendig wenn ihr euch gar nicht erst ansteckt. Ich habe meine Zweifel ob Masken so effektiv sind wie immer dargestellt: Wenn Maßnahmen nicht effektiv sind, darf nicht nur die Einhaltung der Maßnahmen hinterfragt werden. Eine überzeugende Studie, dass die verwendeten Masken (selbstgemacht oder OP-Masken, bei denen die Hälfte der Luft an der Seite vorbeigeht) zuverlässig Ansteckung verhindern, habe ich bisher nicht gesehen. Isolation könnte erheblich effektiver als Maskenpflicht sein.

Diabetes in situ

Eine Grundregel in Social Media erkennt jeder schnell: Viele Menschen haben einen starken Wahrnehmungsfilter. Wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, dann wählen sie immer die Position aus die ihnen besser gefällt. Bei Diskussionen über Ernährung rede ich oft gegen Wände, weil die Diagnose „Diabetes in situ“ hierzulande nahezu unbekannt ist. Von den Ärzten hören wir gerne: „Wenn der Blutzucker normal ist, dann ist alles in Ordnung“. Durch diese fatale Fehleinschätzung erhalten über 80% der erwachsenen Bevölkerung einen Persilschein, obwohl sie bereits auf dem Weg zur Diabetes sind.

Wie viele Diskussionen habe ich schon mit teils schwerkranken Menschen geführt, die fragten ob eine Veränderung ihrer Ernährung zu einer dauerhaften Besserung führen kann? Diese folgen oft folgendem Schema:

  • „Probier mal Low Carb/Paläo. Das hat vielen Menschen geholfen.“
  • „Aber mein Blutzucker ist normal!“
  • „Der Blutzucker trügt. Mit Low Carb senkst Du Entzündungs- und Insulinspiegel, die für Deine Symptome zuständig sein könnten.“
  • „Aber dann muss ich auf Süßigkeiten verzichten!“
  • „Ja. Das ist aber nicht schlimm, der Heißhunger geht weg. Und viele Süßigkeiten kann man sich auch selbst ketogen zubereiten.“
  • „Aber ich habe nur noch so wenig Freude am Leben. Ich will nicht auf Zucker verzichten. Und mein Blutzucker ist normal, also ist doch alles in Ordnung.“

Diagnose von Diabetes: Der Kraft-Test

Das Problem ist nur: Ist der Blutzucker noch vermeintlich „in Ordnung“, kann schon eine schwere Krankheit vorliegen. Diabetes entsteht nicht über Nacht, sondern über viele Jahrzehnte — und die Blutzuckerwerte steigen erst sehr spät. (Als Maß für den „Blutzucker“ wird hier HbA1c verwendet, der sogenannte Langzeitblutzucker(1). )

Aus historischen Gründen fokussieren wir uns bei der Diagnose von Diabetes auf Glukose. Süß riechendes Urin war eins der ersten Diagnosekriterien: Diabetes ist eine Störung des Körpers, Glukose aus dem Blut zu verarbeiten. Ein Pionier der Diabetes-Forschung ist Joseph Kraft, ein amerikanischer Arzt, der in den 70er Jahren begann, die Insulinspiegel gemeinsam mit den Glukosespiegeln nach einer Glukosegabe zu messen. Wie bei einem oralen Glukosetoleranztest (OGT) wird eine Glukoselösung verabreicht. Beim OGT wird nur einmal nach 2 Stunden der Glukosespiegel gemessen, Kraft maß dagegen Insulin und Glukose nach 30, 60, 120 und 180 Minuten.

Kraft konnte dabei 5 charakteristische Muster identifizieren (als Kraft-Pattern bezeichnet): Der Normalzustand (Kraft I), drei Muster mit gestörter Insulin- oder Glukoseantwort (Kraft II, III und IV) sowie ein Muster bei dem kaum Insulin ausgeschüttet wird (Kraft V), die Glukose aber nicht stark erhöht ist.

Kraft-Muster (Quelle: Crofts et al)

Erhöhte Insulin- und Glukosespiegel führten zu vielen charakteristischen Symptomen von Diabetes bzw. des metabolischen Syndroms. Kraft stellte fest, dass ein Großteil der Menschen mit gestörter Insulinantwort den damals als Goldstandard geltenden oralen Glukosetoleranztest bestanden und nicht als Diabetiker diagnostiziert wurden. Da diese Menschen kurz vor der Diabetes stehen, prägte er den Begriff „Diabetes in situ“ oder „Okkulte Diabetes“.

Volkskrankheit Diabetes in situ

Krafts Daten wurden kürzlich von Catherine Crofts wissenschaftlich aufgearbeitet, und sie sind alarmierend:

  • Bei 86% der Menschen lag eine gestörte Insulinantwort vor. Nur 14% der untersuchten Menschen waren gesund, aber nur 21% der untersuchten Patienten hatten eine Diabetes-Diagnose.
  • Von den Menschen, bei denen eine Diabetes vermeintlich durch einen OGT ausgeschlossen wurde, hatten 76% Diabetes in situ.
  • Die Mehrheit der Patienten mit Diabetes in situ hatten einen BMI unter 30. Fettleibigkeit ist kein gutes Diagnosekriterium.

Ivor Cummings schreibt einen schönen allgemeinverständlichen Artikel zu den Kraft-Pattern. Ich teile seine Einschätzung zu den Kraft-Pattern II, III und IV: „Diese Menschen sind Diabetiker. Basta.“

Insulinspiegel bei Diabetes in situ. Quelle: Ivor Cummings

Diabetes ist die Krankheit der gestörten Glukoseregulierung, und Menschen mit Diabetes in situ haben überhöhte Glukosewerte. Die üblichen Diagnosekriterien (HbA1c über 6,5 oder Nüchternblutzucker über 126) sind zu ungenau.

Und es trifft immer jüngere Menschen. Während Kraft überwiegend ältere Erwachsene untersuchte, ist Diabetes in situ auch bei jungen Menschen der Normalzustand: Neuere Studien wie z.B. eine Untersuchung von 2019 beziffern den Anteil an metabolisch gesunden Menschen auf nur noch 12%, und 23% in der Gruppe der 20-39-jährigen.

Insulin ist wichtiger als Glukose

Diabetes in situ versteht man, wenn man die Krankheit als graduelle Störung der Hormonspiegel interpretiert. Dabei muss man die Rolle der Hormone verstehen:

  • Insulin sorgt dafür dass Glukose in Muskeln gespeichert wird. Essen wir zu viel Kohlenhydrate, wird der Überschuss in Fett umgewandelt und gespeichert.
  • Hohe Insulinspiegel führen zu erhöhter Fettproduktion und damit zu Gewichtszunahme. Zudem bringen sie zahlreiche andere Prozesse aus dem Tritt: Die Nieren arbeiten schlechter, die Sättigung tritt später ein, wir werden schnell wieder hungrig und unser Immunsystem wird hyperaktiv.
  • Die beim Arzt gemessenen Glukosespiegel sind so lange normal, wie die Bauchspeicheldrüse genug Insulin produziert um die Glukose zu verarbeiten. Dabei kann es zu mehrfach überhöhten Insulinspiegeln kommen. Auch die Glukosespiegel nach Mahlzeiten können schon erheblich erhöht sein.
  • Erhöhte Glukosespiegel werden erst diagnostiziert wenn nicht mehr genug Insulin produziert wird.

Kurzum: Erhöhte Insulinspiegel machen uns krank und dick. Und die Daten von Joseph Kraft belegen dass die große Mehrheit von uns erhöhte Insulinspiegel hat, auch wenn die Glukosewerte vermeintlich noch normal sind.

Insulin, Glukose und Gewicht

Das folgende Bild zeigt die typische Entwicklung der Insulin- und Glukosespiegel bei Diabetes. Jahr 0 ist der Zeitpunkt, an dem die heute gültigen Diagnosekriterien für Diabetes erfüllt sind (HbA1c erreicht 6,5), die Betrachtung beginnt 30 Jahre vorher. Die linke Y-Skala zeigt den Insulinspiegel (Nüchterninsulin in mU/l), die rechte Y-Skala den Langzeitblutzucker HbA1c.

  • Die Entwicklung beginnt mit langsam steigenden Insulinspiegeln, die durch Insulinresistenz entstehen.
  • Mit der Zeit beginnt ein Fettaufbau, die einen Teufelskreis aktiviert: Mehr Fett erhöht die Insulinresistenz(2), erhöhte Insulinresistenz sorgt für schnelle Gewichtszunahme. In dieser Phase steigen auch die Blutfette schnell über den Normalwert (Triglyzeride, nicht abgebildet). Meist handelt es sich um sichtbares Fett mit erheblicher Gewichtszunahme, in vielen Fällen aber auch nur um eine Verfettung der inneren Organe, das kaum auf der Waage sichtbar wird.
  • Mit wachsender Insulinresistenz steigen die Glukosewerte nach Mahlzeiten. Die Glukose wird erheblich langsamer verarbeitet, und ein größerer Anteil wird in Fett umgewandelt und geht nicht in die Muskeln. Der Nüchtern-Blutzucker ist hier fast immer noch normal, damit ist der Langzeitblutzucker HbA1c nur minimal erhöht.
  • Die Insulinspiegel steigen auf das Drei- bis Fünffache im Vergleich zu Gesunden. Da die Glukose langsamer abgebaut wird, müssen diese Spiegel länger gehalten werden. Die Bauchspeicheldrüse muss beispielsweise das Zehnfache der „normalen“ Insulinproduktion leisten.
  • Irgendwann erreicht die Bauchspeicheldrüse die Kapazitätsgrenze (hier 5 Jahre vor der Diagnose). Die Insulinspiegel sinken wieder, da die Bauchspeicheldrüse durch hohe Blutfette geschädigt wird. Im Ergebnis läuft die Glukoseverarbeitung aus Ruder. Die Gewichtszunahme verlangsamt sich dagegen.
  • Je weniger Insulin produziert wird, desto höher steigen die Glukosespiegel. Erst jetzt steigt der Nüchternblutzucker an, und damit auch der Langzeitblutzucker HbA1c.
  • Die erhöhten Glukosespiegel schädigen die Bauchspeicheldrüse zusätzlich und verringern weiter die Insulinproduktion. Irgendwann wird die HbA1c-Marke von 6,5 überschritten, die Diabetes wird diagnostiziert.
  • Wird jetzt nicht medikamentös eingegriffen, steigt der Blutzucker schnell an. Das Gewicht bleibt meist stabil.

Es ist offensichtlich, dass die eigentliche Krankheit (Hyperinsulinämie oder stark erhöhte Insulinspiegel) bereits weit vor Erreichen der Diagnosekriterien für Diabetes vorliegt.

Das Gewicht muss übrigens nicht zwingend deutlich ansteigen. Bei vielen Menschen kommt es nur zu einer Verfettung der inneren Organe, sie sind „innerlich fett“ aber äußerlich dick.

Die korrekte Diagnose

Wie kann ich feststellen, ob ich mich bereits auf dem Weg zu Diabetes befinde?

Der Kraft-Test ist hierzulande leider fast unbekannt und wird nicht von der Krankenkasse bezahlt. Es gibt aber einige andere Werte, die Diabetes in situ nahezu sicher diagnostizieren. Die folgenden Blutwerte sind bereits in der Frühphase, d.h. bei leicht erhöhten Insulinspiegeln, erhöht:

  • Erhöhte Blutfette (Triglyzeride über 150) sind ein sicheres Zeichen für Insulinresistenz. Sie werden häufig bei Routineuntersuchungen gemessen.
  • Das Verhältnis von HDL-Cholesterin zu Triglyzeriden ist ebenfalls ein wichtiges Maß. Werte unter 1,5 sind gut.
  • Erhöhtes Gamma-GT (ein Leberwert) ist ein Anzeichen für Insulinresistenz.
  • Erhöhtes Nüchterninsulin (über 5 mU/l) ist eine gute Annäherung für die Insulinresistenz. Einige Hausärzte oder Internisten messen Insulin wenn man sie darum bittet. Dieser Wert schwankt allerdings stark und muss mehrfach gemessen werden um eine zuverlässige Aussage zu machen.
    Achtung: Der Normbereich ist absurd hoch (bis zu 30 mU/l), da fast alle Erwachsenen bereits stark überhöhte Insulinspiegel haben.

Die Diabetes klopft schon an die Tür wenn folgende Marker vorliegen:

Das Gegengift

Wenn unsere Glukosekontrolle nicht mehr funktioniert wie sie soll, gibt es eine naheliegende Lösung: Weniger Glukose (bzw. allgemein weniger Kohlenhydrate) essen. Je ausgeprägter unsere Symptome sind, desto stärker müssen Kohlenhydrate reduziert werden.

Natürlich ist ein geringer Kohlenhydratanteil in der Nahrung allein kein Maß für eine gesunde Ernährung. Wie Diabetes-in-situ mit gesunder Ernährung vermieden und geheilt werden kann findet ihr in meinem Buch.

Fußnoten

(1) HbA1c ist ein Maß für den mittelfristigen „Schaden durch Glukose“, d.h. der Anteil der roten Blutkörperchen die in den letzten 3-4 Monaten durch Glukose beschädigt wurden. Bei kohlenhydratreicher, westlicher Ernährung ist HbA1c ein gutes quantitatives Maß dafür ob der Körper die Glukose schnell verarbeiten kann, d.h. ob die Glukosespiegel nach einer Mahlzeit schnell sinken. Bleiben die Glukosespiegel lange hoch, reagiert mehr Hämoglobin mit Glukose und HbA1c steigt.
Dagegen ist der Nüchternblutzucker individuell schwankend und erheblich ungenauer. Ein erhöhter Nüchternblutzucker über 95 mg/dl zeigt ein Problem an, ist aber im Gegensatz zum HbA1c nur ein qualitatives Maß.
Beide Werte sind kein Maß für die Insulinresistenz. Diese wird am besten mit dem HOMA-IR bzw. dem Nüchterninsulin bestimmt.

(2) Der hier genannte Zusammenhang zwischen Fett und Insulinresistenz ist sehr komplex, und einen eigenen Blogeintrag wert. Es gibt verschiedene Formen des metabolischen Syndroms, die zu unterschiedlich starkem Fettaufbau führen. Nicht alle Menschen nehmen merklich zu, aber alle betroffenen Menschen bauen viszerales Fett auf, Fett um und in den inneren Organen wie Leber und Bauchspeicheldrüse.

Paläo, Keto oder was?

Wenn wir über Ernährungsformen sprechen, dann freuen wir uns immer über einen Begriff, der unsere Ernährung klar abgrenzt. Dies geht problemlos bei Ernährungen die von einem Autor erschaffen und beschrieben wurden (etwa Atkins, LOGI, Ornish u.a.). Leider gibt es keinen Namen für die Ernährung die ich empfehle — zumal ich nicht eine einzige Ernährung empfehle, sondern viel Wert auf die Beachtung individueller Erkrankungen und Unverträglichkeiten lege, wodurch sich meine Empfehlung drastisch verändern kann. Zur Begriffsklärung:

  • Eine typische westliche Ernährung enthält meist 250-350 Gramm Kohlenhydrate am Tag.
  • Von Low-Carb spricht man, wenn die Kohlenhydratmenge auf ca. 100g pro Tag beschränkt ist. Die genaue Grenze schwankt, je nach Low-Carb-Variante (z.B. Atkins, LOGI, Lutz). Low-Carb-Ernährungen können oft signifikante Proteinmengen beinhalten, auch wenn sie meist eher auf große Mengen Gemüse ausgerichtet sind.
  • Von LCHF (Low-Carb High-Fat, wenig Kohlenhydrate viel Fett) spricht man, wenn die Kohlenhydratmenge bei höchstens 50g (selten bis 75g) pro Tag liegt und Fett der hauptsächliche Kalorienträger ist.
  • Bei einer ketogenen Ernährung oder vLCHF/vLC (very Low-Carb [High-Fat], sehr wenig Kohlenhydrate und viel Fett) ist das Ziel, den Stoffwechsel dauerhaft in Ketose zu halten und somit die Energieaufnahme aus Kohlenhydraten stark zu beschränkten. Die Kohlenhydratmenge muss so niedrig sein, dass dauerhaft Ketone produziert werden. Für die meisten Menschen liegt diese Grenze bei ca. 25g, sie kann aber individuell deutlich höher oder niedriger sein.
  • Die Paläo-Diät beschränkt sich dagegen auf Lebensmittel, die schon zu den Zeiten der Jäger und Sammler verfügbar waren.

Die Philosophien

Vergleicht man die Paläo-Ernährung mit kohlenhydratbeschränkten Ernährungen (Keto oder Low-Carb), dann haben sie grundverschiedene Ansätze: Bei Keto geht es formell nur um Beschränkung von Kohlenhydraten, um Insulinspiegel niedrig zu halten und Insulinresistenz/Diabetes zu vermeiden und/oder abzubauen. Die Motivation dafür ist natürlich, dass Insulinresistenz maßgeblich all unsere Zivilisationskrankheiten auslöst (Benjamin Bikman hat erst in diesem Jahr ein hervorragendes Buch dazu veröffentlicht, „Why we get sick“).

Bei Paläo geht es vor allem um Vermeidung raffinierter und stark verarbeiteter Lebensmittel: Raffinierte Kohlenhydrate (Mehlprodukte, Zucker) sind ebenso verboten wie raffinierte Fette z.B. aus Getreide und Samen (Sonnenblumenöl, Maiskeimöl usw.). Ebenso sind Milchprodukte verboten, viele moderne Getränke (einschließlich Alkohol und Kaffee) und Hülsenfrüchte (die unsere Vorfahren vermeintlich nicht zubereiten konnten). Hier ist die Motivation, dass sich unsere Gene in den letzten Jahrtausenden kaum verändert haben, und wir von der Evolution bestens auf genau die Lebensmittel vorbereitet sind, die damals verfügbar waren.

Was ist besser, Paläo oder Kohlenhydratrestriktion?

Ich unterstütze beide Philosophien uneingeschränkt. Aber so einfach ist unsere Ernährung leider nicht dass wir nur einen einzigen Grundsatz betrachten müssen. (Und ich streite mich deshalb auch gerne hitzig mit Verfechtern beider Philosophien. Vor allem den „Ketogenen“ bin ich nicht keto genug.) „Keto“ ist natürlich denkbar einfach formuliert, man muss einfach eine Kohlenhydratgrenze einhalten. Aber das reicht eben nicht. Es ist beispielsweise erlaubt, pures Sonnenblumenöl zu trinken. Hier wird sogar die Philosophie verletzt: Neben der stark entzündungsfördernden Wirkung von Omega-6-Ölen führt dies auch wieder zu Insulinresistenz — Kohlenhydrate sind nicht die einzigen Substanzen, die Insulinresistenz erzeugen. Aber auch die Philosophie greift zu kurz: Ein gesundes Mikrobiom und Vermeidung von Umweltgiften und chemischen Zusätzen sind für eine gesunde Ernährung genauso unverzichtbar wie niedrige Insulinspiegel. „Echtes Essen“, aus frischen Zutaten gekocht und mit rohen Bestandteilen, ist essentiell. Industrielle Keto-Riegel mit Dutzenden von chemischen Zutaten (wie es sie in den Vereinigten Staaten inzwischen zu Hauf gibt) sind zwar formell perfekt ketogen, aber keinesfalls gesund.

Paläo erlaubt dagegen Fruchtzucker und Kohlenhydrate z.B. aus Kartoffeln und Reis. Dies ist in beschränkten Mengen für gesunde Menschen unproblematisch. Für insulinresistente Menschen können dies schon deutlich zu viele Kohlenhydrate sein: Die Insulinresistenz oder (Prä-)Diabetes und deren Folgen (Fettleber, verminderte Leistungsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse, entzündungsförderndes Fettgewebe) werden nicht abgebaut. Immerhin verbietet Paläo den Konsum von Omega-6-reichen Pflanzenölen. Zusammen mit einem Verbot raffinierter Kohlenhydrate eliminiert Paläo einige Hauptursachen für Insulinresistenz. Paläo ist fast automatisch eine Low-Carb-Ernährung.

Einen dicken Haken gibt es aber bei Beiden: Keto und Paläo ignorieren gleichermaßen die Frage von Antinährstoffen wie Lektinen und Oxalaten vollständig. Somit sind beide Ernährungsformen (in Reinform) aus meiner Sicht zu kurz gesprungen.

Die WFKD

Natürlich sind vielen Experten diese Defizite bekannt. Stephen Finney spricht z.B. von der „well formulated ketogenic diet„. Sie enthält einige Paläo-Charakteristiken, insbesondere die Empfehlung für „echtes Essen“. Die Warnung vor Omega-6 ist ebenfalls enthalten, verliert sich leider im Kleingedruckten. In den meisten Internetforen gehen solche subtilen Änderungen leider verloren, wie oft habe ich schon gelesen „veganes Keto ist kein Problem, Du kannst doch auch Rapsöl benutzen“.

Auch in der Paläo-Community gibt es oft die Empfehlung für wenig Kohlenhydrate und viel Fett. Bedauerlicherweise ist eine gewisse Fettphobie bei vielen Paläo-Anhängern fest verdrahtet. Empfehlungen für mageres Fleisch und viel Obst sorgen für Kopfschütteln unter allen, die schon einmal etwas von dem metabolischem Syndrom gehört haben.

Eine gesunde Mischung

Die Ernährung die ich in meinem Buch empfehle orientiert sich an einer Low-Carb-Paläo-Ernährung, auch wenn ich in einigen Punkten davon abweiche: Bei beschränkten Mengen von Milchprodukten, Kaffee/Tee und Hülsenfrüchten bin ich nicht von einer Schädlichkeit überzeugt. Dagegen empfehle ich eine Vermeidung verschiedener Antinährstoffe.

Meine ganz persönliche Philosophie ist die Beachtung folgender Grundsätze (grob gewichtet):

  1. Einschränkung der Kohlenhydratmenge, mit Augenmaß. Je stärker das metabolische Syndrom ausgeprägt ist, desto mehr müssen Kohlenhydrate reduziert werden.
  2. Strikte Beschränkung der Omega-6-Fettsäuren aus Pflanzenölen.
  3. „Echtes Essen“. Weitgehe Beschränkung von abgepackten Lebensmitteln, und chemischen Zusatzstoffen wie Emulgatoren, Konservierungsmittel, künstliche Aromen und Süßstoffe.
  4. Starke Beschränkungen in der Menge der Lektine (aus Hülsenfrüchten und Nachtschattengewächsen) und Oxalate (z.B. aus Spinat, Mangold, Kakao, Mandeln).
  5. Individuelle Anpassunngen je nach Verträglichkeit, wie z.B. Eliminierung von Milch(eiweiß) bei Unverträglichkeit von Laktose oder Milchprotein oder Vermeidung von Histamin bei Histaminintoleranz.

Kurzum: Paläo und Keto entspringen aus unterschiedlichen Grundideen, die beide richtig und wichtig sind. Nur die Kombination beider Ansätze ist nachhaltig und gesund.