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Fasten (2)

Ich habe kürzlich wieder 5 Tage gefastet. Und auch diesmal war das Erlebnis grundlegend anders als ich zum letzten Mal darüber schrieb, weshalb ich das Thema erneut aufgreifen möchte.

Pro und Contra

Eine Warnung vorweg: Wer blutzuckersenkende Medikamente wie Insulin oder SGLT-2-Hemmer nimmt sollte keinesfalls allein Fasten, sondern dies nur unter engmaschiger ärztlicher Aufsicht tun. Diese Medikamente müssen beim Fasten abgesetzt werden.

Metformin-Einnahme beim Fasten ist meines Wissens unbedenklich da Metformin den Blutzucker nicht direkt senkt, es kann aber zu Verdauungsproblemen führen. Ggf. wird die Metformin-Einnahme beim Fasten unterbrochen, sofern der Blutzucker in akzeptablen Bereichen bleibt. Auf jeden Fall muss das Fasten mit dem behandelnden Arzt begesprochen werden.

Zu allererst: Der Nutzen von langem mehrtägigem Fasten ist wissenschaftlich umstritten. Studien wurden leider seit 40 Jahren nicht mehr gemacht, da Fasten derzeit als „unethisch“ gilt. (Idiotie!)

Die wesentlichen Effekte des Fastens bekommt man auch mit einer ketogenen Ernährung, gekoppelt mit Intervallfasten: Der Blutzucker ist niedrig, der Körper baut ganztägig einen Ketonspiegel auf und das „Aufräumen“ kommt in Gang. Allerdings beginnen einige Prozesse nach 16 Stunden Fasten gerade erst, etwa die Autophagie (programmierter Zelltod, bei dem besonders geschädigte Zellen eliminiert werden) durch das Absinken von mTOR. Deshalb fallen diese Effekte beim Fasten erheblich stärker aus. Der Blutzucker (und das daran gekoppelte Insulin) sinken deutlich unter die üblichen Nüchternwerte zwischen 90 und 100 ab, der Insulin-Gegenspieler Glukagon (ein katabolisches Botenstoff) steigt und der Körper kommt in die sogenannte „tiefe Ketose“ mit Ketonspieglen von deutlich über 3 mmol/l (aber weit unter dem gefährlichen Bereich der Ketoazidose). Deshalb ist mehrtägiges Fasten eine „Intensivkur“ gegen Insulinresistenz und das metabolisches Syndrom. Zudem berichten viele Patienten von vermeintlich unheilbaren Autoimmunkrankheiten über Besserung oder sogar Heilung durch langfristiges Fasten. In Russland gibt es zahlreiche Fastenkliniken in denen die Patienten rund 3 Wochen lang unter ärztlicher Aufsicht fasten — offensichtlich oft erfolgreich. (Der Arte-Beitrag „Altes Wissen und neueste Forschung“ dazu ist leider nicht mehr in der Mediathek verfügbar, soll aber auf Youtube abrufbar sein.)

Die Kehrseite des Fastens darf auch nicht verschwiegen werden:

  • Durch einen schnellen Abbau von Fettgewebe werden die dort enthaltenen Giftstoffe (wie z.B. Weichmacher und Pestizide) in den Körper freigesetzt, was bei geschädigtem Entgiftungssystem zu heftigen Beschwerden führen kann. Für einige Menschen ist ein langsameres Abnehmen definitiv sinnvoller.
  • Bei der heutigen westlichen Ernährung ist die Versorgung mit Mikronährstoffe problematisch. Nicht nur dass wir uns einseitiger ernähren als früher, sondern die Lebensmittel haben auch einen deutlich geringeren Gehalt an Spurenelementen. Dies kann bei längerfristigem Fasten zu Beschwerden führen, weshalb eine Zufuhr von Mikronährstoffen empfehlenswert ist. Dies gelingt am besten mit selbstgekochten Gemüse- und Knochenbrühen, was neben Wasser, Tee und Kaffee als einzige „Nahrung“ konsumiert wird.
  • Je länger man fastet, desto mehr sinkt der Grundumsatz des Körpers. Dies bedeutet nicht nur Frieren während des Fastens (der Körper spart Energie), sondern auch noch Monate nach dem Fasten läuft der Körper im Sparmodus. Je länger wie fasten, desto extremer und länger sind wir im Energiesparmodus – im schlimmsten Fall sogar viele Jahre lang. Dieser Effekt tritt vor allem ab dem dritten oder vierten Fastentag auf — kürzeres Fasten hat keinen nennesnwerten Einfluss auf den Ruheenergieverbrauch.
  • Für Menschen mit metabolischem Syndrom, die sich vor dem Fasten kohlenhydratreich ernähren, kommt ein weiteres, großes Problem dazu: Die „Keto-Grippe“. Der Körper stellt sich nur sehr langsam auf Fettverbrennung um, wodurch das Fasten nach 2-3 Tagen zur kaum erträglichen Tortur wird. Die üblichen Gegenmaßnahmen (MCT-Öl/Kokosöl und reichliche Aufnahme an Fett) lassen sich beim Fasten nicht anwenden.

Wann und wie lange Fasten?

Deshalb kann ich keine universelle Empfehlung für oder gegen ein längeres Fasten abgeben.

  • Wenn es um Vorsorge für gesunde Menschen geht, ist zeitbeschränktes Essen (Intervallfasten mit einem Fenster von max. 8 Stunden für das Essen) die am einfachsten zu realisierende Lösung.
  • Bei fortgeschrittenem metabolischen Syndrom (z.B. Langzeitblutzucker im prädiabetischen Bereich, grenzwertig überhöhter Blutdruck oder Fettleibigkeit) können Fastenphasen die Heilung stark beschleunigen. Dabei kann man z.B. 3 Fastentage pro Woche einlegen oder einfach nur an jedem zweiten Tag essen, oder einen festen Zyklus einhalten (wie 3 Tage Essen gefolgt von 2 Tage Fasten). Einige Menschen können ihr metabolisches Syndrom nur durch mehrtägiges Fasten überwinden.
  • Besonders bei hartnäckigen Gesundheitsbeschwerden ist ein längerfristiges Fasten von bis zu 2 Wochen auf jeden Fall einen Versuch wert. Dabei würde ich aber davon abraten sich bei Problemen „durchzubeißen“: Hat sich das Fasten nach 2-3 Tagen nicht eingependelt oder werden die Beschwerden nach dieser Zeit sogar schlimmer, sollte man das Fasten lieber abbrechen. (Mein persönliches Limit liegt — trotz immer noch reichlich vorhandenem Übergrwicht — aktuell bei 4-5 Tagen, danach ist meine durch ME/CFS bedingte Erschöpfung so stark dass ich kaum noch den Gang in die Küche oder auf die Toilette schaffe.)

Mythen und Legenden

Aber räumen wir mit einigen weitverbreiteten Fehlinformationen auf.

  1. Die wichtigste Empfehlung findet sich nicht in den üblichen Ratgeber: Vor dem Fasten sollte man fettadaptiert sein, d.h. sich entweder kohlenhydrat ernähren oder eine Umstellung auf kohlenhydratarmes Essen ist für mindestens 3 Tage möglich. Andernfalls droht die „Keto-Grippe“, die schon unangenehm ist wenn man nicht fastet.
  2. Ein Entlastungstag vor dem Fasten ist nicht notwendig. Allerdings empfiehlt es sich am Tag vor Fastenbeginn streng ketogen und mit hohem Fettanteil zu essen, was den Übergang ins Fasten erleichtert.
  3. Die obligatorische Darmentleerung am ersten Fastentag gelingt meist auch mit reichlich Magnesium (z.B. ein Magnesiumcitrat-Pulver) sowie etwas Apfelessig, mit Abführmitteln muss man sich nicht zusätzlich belasten. Aber auch hier sollte man sich nicht zu viele Gedanken machen, unser Darm funktioniert weiter und entledigt sich der Essensreste im Zweifelsfall auch nach ein paar Tagen.
  4. Das tägliche Wiegen verrät meist nicht den bisher erreichten Gewichtsverlust, der besonders in den ersten Tagen durch verlorenes Wasser bestimmt wird.
  5. Zur Motivation darf dagegen der Blutzucker dienen, der nach rund 3 Tagen hoffentlich durchgängig deutlich unter dem normalen Nüchternblutzucker liegt.
  6. Eine Stabilisierung oder sogar Euphorie nach 2-3 Tagen mag bei einigen Fastenden eintreten, ist aber nicht die Regel. Ist der Körper an Fettverbrennung gewöhnt dann gibt es nicht zu stabilisieren – nach ungefähr 24 Stunden hat sich der Körper vollständig auf das Fasten eingestellt. Umgekehrt wird eine Stabilisierung bei kohlenhydratreicher Ernährung und hohen Insulinspiegeln erst nach bis zu 2 Wochen eintreten, nach ca. 3 Tagen ist man auf dem Höhepunkt der „Keto-Grippe“ mit schlimmen Beschwerden angekommen. Und wie schon oben beschrieben werden bei Menschen mit Entgiftungsstörungen die Beschwerden im Laufe des Fastens immer weiter zunehmen.
  7. Keine Angst vor einem Muskelschwund. Dies oder sogar Verlust von Gehirnmasse sind reine Mythen: Wir verlieren pro Fastentag anfänglich 12-15 Gramm Protein pro Tag, dies reduziert sich mit zunehmender Fastenzeit weiter auf bis zu 4-5 Gramm pro Tag. Das Verlust dürfte vor allem von abgebautem Fettgewebe kommen, das auch Bindegewebe (=Protein) enthält. Abgebaute Muskelmasse würde übrigens nach dem Fasten innerhalb weniger Tage wieder aufgebaut.
    Allerdings verringert sich die Muskelmasse natürlich wenn wir während des Fastens nur auf dem Sofa liegen. Was nicht am Fasten liegt sondern am fehlender Bewegung…
  8. Es ist normal dass unser Gewicht in den Tagen nach dem Fasten wieder etwas ansteigt — das verlorene Wasser wird wieder eingelagert.

Gewichtsverlust

Ganz generell ist häufiges, längerfristiges Fasten kein gutes Mittel für einen Gewichtsverlust. Zwar nimmt man während des Fastens gut ab, dies wird aber durch den nachfolgenden Energiesparmodus schnell kompensiert und das verlorene Gewicht wird schnell wieder aufgebaut. Will man nur Abnehmen, dann empfiehlt sich am ehesten ein OMAD-Regime (eine Mahlzeit pro Tag).

Aber natürlich verliert man mit dem Fasten ein paar Kilo. Der Gewichtsverlust schwankt extrem von Mensch zu Mensch. Rein physiologisch verbrauchen wir nur rund 2kg Fettgewebe pro Woche, weil ein Kilo mit rund 7.500 Kalorien den Energiebedarf von 3-4 Tagen deckt. Jeglicher weiterer Gewichtsverlust entsteht nur, weil wir Wasser ausscheiden. (Und das Wasser ist nach dem Fasten schnell wieder gespeichert.) Wir können viele Liter Wasser in den ersten Tagen verlieren, da

  1. die Glukosevorräte in unserem Körper (als Glykogen, bis zu 500g) in bis zu 2 Liter Wasser gebunden sind,
  2. die Wassermenge von der Elektrolytmenge abhängt (die beim Fasten meist abfällt, selbst wenn man mit Salz und Brühe kompensiert) und vor allem
  3. bei Insulinresistenz oft die Nierenfunktion eingeschränkt ist, was zu Wassereinlagerungen führt. Beim Fasten fangen die Nieren durch den sinkenden Insulinspiegel wieder an besser zu arbeiten und eliminieren das eingelagerte Wasser.

Fazit

Die Wirkung des Fastens kann man erst bewerten wenn man wieder einige Tage lang gegessen hat. Ich beobachte zumindest für einige Wochen einen deutlich gestiegenen Energiespiegel — den Gewichtsverlust (nach Stabilisierung) von rund 2kg nehme ich gerne mit.

Gute Vorsätze, und die Relevanz der Gesamtsterblichkeit

Jetzt ist die Zeit, wo man (und frau) sich gute Vorsätze für das nächste Jahr fasst. Viele werden sich Abnehmen mit „mehr Sport, weniger Essen“ vornehmen und scheitern. Ich habe dagegen einen sehr speziellen, abstrakten Weihnachtswunsch, dessen Erfüllung leider extrem unwahrscheinlich ist: Ich wünsche mir, dass eine sehr spezielle Bevölkerungsgruppe die richtigen Vorsätze fasst. Ich wünsche mir, dass Wissenschaftsredakteure großer Medien sich vornehmen, in Zukunft die Artikel zu lesen über die sie schreiben (und nicht nur abzuschreiben was eine Medienagentur berichtet, oder bestenfalls die Zusammenfassung zu überfliegen). Und ich wünsche mir, dass die Gesamtsterblichkeit die notwendige Aufmerksamkeit erfährt.

Zweifelhafte Ernährungswissenschaft

Schaut man in die Spalten der Ernährungswissenschaft, dann muss man kein Experte sein um festzustellen dass es hochgradig widersprüchliche Aussagen gibt, die teils wenige Tage nacheinander in den Schlagzeilen sind. Intervallfasten ist wahlweise ein Heilsbringer oder völlig nutzlos, veganes Essen ist wahlweise gesünder als Fleisch oder führt zu Mangelerscheinungen, Fleisch oder Eier sind wahlweise gesund oder schädlich, zum Abnehmen gibt 20 verschiedene Rezepte, die alle das einzig richtige sind.

Liebe Leute: Das ist grober Unfug und keine Wissenschaft. Ihr Redakteure macht euch lächerlich, wenn ihr jeden Tag etwas anderes schreibt. Fleisch kann nicht gleichzeitig gesund und ungesund sein.

Grundprinzipien der Wissenschaft

In der Wissenschaft erhalten wir dann reproduzierbare Ergebnisse, wenn wir den Testaufbau vernünftig machen. Überprüfe ich die Gesetze des elastischen Stoßes, beispielsweise mit Billiardkugeln auf einer glatten Oberfläche, dann werde ich immer exakt dieselben Ergebnisse erhalten. Schief geht es nur, wenn ich Orangen statt Billiardkugeln oder Strand statt eines glatten Tisches nehme.

Dies gilt auch in der Ernährungswissenschaft: Wenn ich ein gut durchdachtes Experiment in eine Studie gieße, dann werden die Ergebnisse reproduzierbar sein — wenn nicht, dann war das Experiment nicht gut durchdacht und ich habe im Aufbau oder bei der Auswahl der Probanden geschlampt. (Dasselbe Experiment mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen kann zu verschiedenen Ergebnissen führen.)

Nun wird die Ernährungswissenschaft leider gern als Demokratie aufgefasst und nicht als Wissenschaft. Wenn es Widersprüche gibt, dann werden sogenannte Metastudien gemacht, die dann genauso widersprüchlich sind (je nachdem welche Studien eingeschlossen werden). Was soll das bringen? Wenn zu einer bestimmten Frage („Führen zuckerhaltige Getränke zu Übergewicht?“) 26 von 60 Studien keinen Zusammenhang sehen während 34 Studien die Frage mit „ja“ beantworten (wie eine Literaturrecherche von 2016 ergibt), dann ist es keine Lösung noch weitere 60 Studien zu machen und auf eine klare Mehrheit für die eine oder andere Seite zu hoffen. Und auf keinen Fall „gewinnt“ die Seite mit mehr Studien. Nein, man sollte schon genau hinschauen wie sich die Studien unterscheiden und warum sie zu verschiedenen Ergebnissen kommen. (Ein offensichtlicher Unterschied, wie in der vorliegenden Analyse herausgearbeitet, war die Finanzierung. 25 der 26 zuckerfreundlichen Studien wurden von der Zuckerindustrie finanziert, während nur 1 der 34 zuckerkritischen Studien diese Verbindung hatte. Was natürlich nicht die entscheidende Frage beantwortet: „Warum kommen die Studien zu verschiedenen Ergebnissen?“)

Gesunder Menschenverstand

Des Pudels Kern ist oft die Frage was man als „gesund“ interpretiert. In meiner Welt ist „gesund“, wenn Menschen länger leben und seltener krank werden. Kürzer: Die Gesamtsterblichkeit muss sinken. In der Ernährungswissenschaft wird dagegen erstaunlich oft untersucht, ob einzelne Parameter sich verändern: Nahezu universell wird etwas als „gesund“ bewertet, wenn durch eine Intervention ein einzelner Parameter wie z.B. Cholesterin oder C-reaktives Protein sinkt. Die Gesamtsterblichkeit wird meist ignoriert.

Der einzige Grund weshalb z.B. mehrfach ungesättigte Fettsäuren (überwiegend aus Omega-6, der Hauptbestandtteil in Rapsöl, Sonnenblumenöl und anderen Ölen die aus Getreide oder Mais gewonnen werden) als gesund eingeschätzt werden ist eine Cholesterinsenkung. Dabei ist inzwischen unstrittig dass selbst das vermeintlich „böse“ LDL-Cholesterin nicht zu Herzinfarkten führt (vgl. zum Beispiel diese umfassende Literatursuche). Ganz im Gegenteil: Erhöhte Cholesterinwerte führen statistisch zu einem längeren Leben (vgl. etwa das systematische Review von Ravnskov, Diamond und anderen). Umgekehrt wird also ein Schuh daraus: Eine Vermeidung von Omega-6-Fettsäuren ist gesund.

Beobachtende Studien

Andere Studien ergeben unsinnige Ergebnisse, weil ein statistischer Zusammenhang falsch interpretiert wird. Aus einer Korrelation (zwei Werte hängen zusammen) wird eine falsche Ursache-Wirkung-Beziehung konstruiert. Ein hypothetisches Beispiel: Eine beobachtende Studie könnte beispielsweise ergeben, dass Menschen nach Eiskonsum häufiger ertrinken. Dabei hat das nichts mit dem Eis zu tun: Menschen schwimmen vor allem bei warmen Wetter, und bei warmen Wetter wird mehr Eis konsumiert. Es gibt eine Korrelation (wenn viel Eis gegessen wird dann ist es warm, mehr Menschen schwimmen und mehr Menschen ertrinken), aber keinen ursächlichen Zusammenhang.

Genau diese Fehler werden oft bei ernährungswissenschaftlichen Studien gemacht. So behauptet z.B. eine Studie im renommierten „Lancet“, dass Kohlenhydratreduktion angeblich zu erhöhter Sterblichkeit führe. Die Studie hat zahlreiche systematische Fehler und hätte niemals einen wissenschaftlichen Review-Prozess bestehen dürfen. (Eine prägnant kurze Aufstellung dieser Fehler kann man z.B. im Kommentar von Zoe Harcombe nachlesen.) Um nur ein Problem herauszunehmen: Kohlenhydratarme Ernährungsformen widersprechen den üblichen Ernährungsempfehlungen und werden vor allem von Menschen eingesetzt die ihre gesundheitlichen Probleme nicht mit einer ernährungspyramidenkonformen Ernährung lösen können. Wer ketogen isst, der tut das mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund von bestehenden Krankheiten. Ergo sind Menschen mit ketogener Ernährung mit höherer Wahrscheinlichkeit krank als Menschen mit westlicher Ernährung (denn warum würden sie sonst ketogen essen). Daraus kann man aber nicht schlussfolgern dass die ketogene Ernährung Schuld an der Krankheit ist!

Beobachtende Studien sollte man generell mit Skepsis betrachten. Eine Untersuchung kam 2011 zu dem Ergebnis „Any claim coming from an observational study is most likely to be wrong.“ (Beobachtende Studien liefern meistens ein falsches Ergebnis). Die Mehrheit der Ergebnisse von beobachtenden Studien wird später revidiert –die Ursachen sind vielfältig, aber oft wurde fälschlich eine kausale Beziehung angenommen obwohl es nur eine Korrelation gab. Und leider ist die Mehrheit der ernährungswissenschaftlichen Studien beobachtend, da Interventionsstudien mit den benötigten hohen Teilnehmerzahlen extrem aufwendig und teuer sind, und deshalb selten durchgeführt werden.

Gesamtsterblichkeit im Fokus

Die zahlreichen Widersprüche der Ernährungswissenschaft lösen sich auf wenn Studien sauber entworfen sind. Gute Studien betrachten die Gesamtsterblichkeit gemeinsam mit Laborparametern, und sind vorsichtig bei der Interpretation von statistischen Korrelationen.

Liebe Wissenschaftsredakteure, ich bitte euch: Lest die Studien über die ihr berichtet, schaut zumindest in den Abschnitt „Methoden“. Und wenn es beobachtende Studien sind oder der Begriff „Gesamtsterblichkeit“ nicht vorkommt dann ist höchste Skepsis angebracht.

Gesamtsterblichkeit ist wichtiger als ein Cholesterinspiegel.

COVID-19-Sterblichkeit, Update Oktober

Dies sind eigentlich 2 Beiträge für Twitter, aber das ist nicht mein Medium. Zusammenfassung: Bei einer Infektion mit COVID-19 könnten eine strenge Glukosekontrolle (niedrige Insulinspiegel) sowie Gaben von Vitamin D die Überlebenschancen deutlich steigern.

Meine Einschätzung von April bleibt unverändert: Thromben könnten für die meisten Corona-Todesfälle ursächlich sein. Die Hochrisikogruppen sind Atherosklerose-Patienten. Ein öffentlich einsehbarer Bericht von 10 Autopsien auf Youtube findet auch bei jungen Patienten (in den 20ern) Thromben sowie deutliche Anzeichen von (Prä)Diabetes (Fettleber und Pankreatitis). Auch wenn dies nicht vor einer Infektion schützt: Die Überlebenschancen bei einer Corona-Infektion lassen sich möglicherweise erheblich durch eine strikte Low-Carb-Ernährung verbessern. (Den Zusammenhang zwischen Insulin, Low-Carb-Ernährungen und Atherosklerose erläutere ich in meinem Buch.)

Bemerkenswert ist zudem diese kleine Studie: „Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study„. Gabe von hochdosiertem Vitamin D (20.000 IU am Tag) könnte schwere Corona-Verläufe verhindern. Von 50 Patienten musste nur einer auf die Intensivstation. Dagegen kamen 13 von 26 unbehandelten Patienten in der Kontrollgruppe auf die Intensivstation, 2 starben. Diese Behandlung folgt der „Bradykinin-Hypothese“ für die Corona-Schäden. Ein gut gepflegter Vitamin-D-Spiegel dürfte bei einer Infektion sicherlich nicht schädlich sein.

All dies ist natürlich nicht notwendig wenn ihr euch gar nicht erst ansteckt. Ich habe meine Zweifel ob Masken so effektiv sind wie immer dargestellt: Wenn Maßnahmen nicht effektiv sind, darf nicht nur die Einhaltung der Maßnahmen hinterfragt werden. Eine überzeugende Studie, dass die verwendeten Masken (selbstgemacht oder OP-Masken, bei denen die Hälfte der Luft an der Seite vorbeigeht) zuverlässig Ansteckung verhindern, habe ich bisher nicht gesehen. Isolation könnte erheblich effektiver als Maskenpflicht sein.

Diabetes in situ

Eine Grundregel in Social Media erkennt jeder schnell: Viele Menschen haben einen starken Wahrnehmungsfilter. Wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, dann wählen sie immer die Position aus die ihnen besser gefällt. Bei Diskussionen über Ernährung rede ich oft gegen Wände, weil die Diagnose „Diabetes in situ“ hierzulande nahezu unbekannt ist. Von den Ärzten hören wir gerne: „Wenn der Blutzucker normal ist, dann ist alles in Ordnung“. Durch diese fatale Fehleinschätzung erhalten über 80% der erwachsenen Bevölkerung einen Persilschein, obwohl sie bereits auf dem Weg zur Diabetes sind.

Wie viele Diskussionen habe ich schon mit teils schwerkranken Menschen geführt, die fragten ob eine Veränderung ihrer Ernährung zu einer dauerhaften Besserung führen kann? Diese folgen oft folgendem Schema:

  • „Probier mal Low Carb/Paläo. Das hat vielen Menschen geholfen.“
  • „Aber mein Blutzucker ist normal!“
  • „Der Blutzucker trügt. Mit Low Carb senkst Du Entzündungs- und Insulinspiegel, die für Deine Symptome zuständig sein könnten.“
  • „Aber dann muss ich auf Süßigkeiten verzichten!“
  • „Ja. Das ist aber nicht schlimm, der Heißhunger geht weg. Und viele Süßigkeiten kann man sich auch selbst ketogen zubereiten.“
  • „Aber ich habe nur noch so wenig Freude am Leben. Ich will nicht auf Zucker verzichten. Und mein Blutzucker ist normal, also ist doch alles in Ordnung.“

Diagnose von Diabetes: Der Kraft-Test

Das Problem ist nur: Ist der Blutzucker noch vermeintlich „in Ordnung“, kann schon eine schwere Krankheit vorliegen. Diabetes entsteht nicht über Nacht, sondern über viele Jahrzehnte — und die Blutzuckerwerte steigen erst sehr spät. (Als Maß für den „Blutzucker“ wird hier HbA1c verwendet, der sogenannte Langzeitblutzucker(1). )

Aus historischen Gründen fokussieren wir uns bei der Diagnose von Diabetes auf Glukose. Süß riechendes Urin war eins der ersten Diagnosekriterien: Diabetes ist eine Störung des Körpers, Glukose aus dem Blut zu verarbeiten. Ein Pionier der Diabetes-Forschung ist Joseph Kraft, ein amerikanischer Arzt, der in den 70er Jahren begann, die Insulinspiegel gemeinsam mit den Glukosespiegeln nach einer Glukosegabe zu messen. Wie bei einem oralen Glukosetoleranztest (OGT) wird eine Glukoselösung verabreicht. Beim OGT wird nur einmal nach 2 Stunden der Glukosespiegel gemessen, Kraft maß dagegen Insulin und Glukose nach 30, 60, 120 und 180 Minuten.

Kraft konnte dabei 5 charakteristische Muster identifizieren (als Kraft-Pattern bezeichnet): Der Normalzustand (Kraft I), drei Muster mit gestörter Insulin- oder Glukoseantwort (Kraft II, III und IV) sowie ein Muster bei dem kaum Insulin ausgeschüttet wird (Kraft V), die Glukose aber nicht stark erhöht ist.

Kraft-Muster (Quelle: Crofts et al)

Erhöhte Insulin- und Glukosespiegel führten zu vielen charakteristischen Symptomen von Diabetes bzw. des metabolischen Syndroms. Kraft stellte fest, dass ein Großteil der Menschen mit gestörter Insulinantwort den damals als Goldstandard geltenden oralen Glukosetoleranztest bestanden und nicht als Diabetiker diagnostiziert wurden. Da diese Menschen kurz vor der Diabetes stehen, prägte er den Begriff „Diabetes in situ“ oder „Okkulte Diabetes“.

Volkskrankheit Diabetes in situ

Krafts Daten wurden kürzlich von Catherine Crofts wissenschaftlich aufgearbeitet, und sie sind alarmierend:

  • Bei 86% der Menschen lag eine gestörte Insulinantwort vor. Nur 14% der untersuchten Menschen waren gesund, aber nur 21% der untersuchten Patienten hatten eine Diabetes-Diagnose.
  • Von den Menschen, bei denen eine Diabetes vermeintlich durch einen OGT ausgeschlossen wurde, hatten 76% Diabetes in situ.
  • Die Mehrheit der Patienten mit Diabetes in situ hatten einen BMI unter 30. Fettleibigkeit ist kein gutes Diagnosekriterium.

Ivor Cummings schreibt einen schönen allgemeinverständlichen Artikel zu den Kraft-Pattern. Ich teile seine Einschätzung zu den Kraft-Pattern II, III und IV: „Diese Menschen sind Diabetiker. Basta.“

Insulinspiegel bei Diabetes in situ. Quelle: Ivor Cummings

Diabetes ist die Krankheit der gestörten Glukoseregulierung, und Menschen mit Diabetes in situ haben überhöhte Glukosewerte. Die üblichen Diagnosekriterien (HbA1c über 6,5 oder Nüchternblutzucker über 126) sind zu ungenau.

Und es trifft immer jüngere Menschen. Während Kraft überwiegend ältere Erwachsene untersuchte, ist Diabetes in situ auch bei jungen Menschen der Normalzustand: Neuere Studien wie z.B. eine Untersuchung von 2019 beziffern den Anteil an metabolisch gesunden Menschen auf nur noch 12%, und 23% in der Gruppe der 20-39-jährigen.

Insulin ist wichtiger als Glukose

Diabetes in situ versteht man, wenn man die Krankheit als graduelle Störung der Hormonspiegel interpretiert. Dabei muss man die Rolle der Hormone verstehen:

  • Insulin sorgt dafür dass Glukose in Muskeln gespeichert wird. Essen wir zu viel Kohlenhydrate, wird der Überschuss in Fett umgewandelt und gespeichert.
  • Hohe Insulinspiegel führen zu erhöhter Fettproduktion und damit zu Gewichtszunahme. Zudem bringen sie zahlreiche andere Prozesse aus dem Tritt: Die Nieren arbeiten schlechter, die Sättigung tritt später ein, wir werden schnell wieder hungrig und unser Immunsystem wird hyperaktiv.
  • Die beim Arzt gemessenen Glukosespiegel sind so lange normal, wie die Bauchspeicheldrüse genug Insulin produziert um die Glukose zu verarbeiten. Dabei kann es zu mehrfach überhöhten Insulinspiegeln kommen. Auch die Glukosespiegel nach Mahlzeiten können schon erheblich erhöht sein.
  • Erhöhte Glukosespiegel werden erst diagnostiziert wenn nicht mehr genug Insulin produziert wird.

Kurzum: Erhöhte Insulinspiegel machen uns krank und dick. Und die Daten von Joseph Kraft belegen dass die große Mehrheit von uns erhöhte Insulinspiegel hat, auch wenn die Glukosewerte vermeintlich noch normal sind.

Insulin, Glukose und Gewicht

Das folgende Bild zeigt die typische Entwicklung der Insulin- und Glukosespiegel bei Diabetes. Jahr 0 ist der Zeitpunkt, an dem die heute gültigen Diagnosekriterien für Diabetes erfüllt sind (HbA1c erreicht 6,5), die Betrachtung beginnt 30 Jahre vorher. Die linke Y-Skala zeigt den Insulinspiegel (Nüchterninsulin in mU/l), die rechte Y-Skala den Langzeitblutzucker HbA1c.

  • Die Entwicklung beginnt mit langsam steigenden Insulinspiegeln, die durch Insulinresistenz entstehen.
  • Mit der Zeit beginnt ein Fettaufbau, die einen Teufelskreis aktiviert: Mehr Fett erhöht die Insulinresistenz(2), erhöhte Insulinresistenz sorgt für schnelle Gewichtszunahme. In dieser Phase steigen auch die Blutfette schnell über den Normalwert (Triglyzeride, nicht abgebildet). Meist handelt es sich um sichtbares Fett mit erheblicher Gewichtszunahme, in vielen Fällen aber auch nur um eine Verfettung der inneren Organe, das kaum auf der Waage sichtbar wird.
  • Mit wachsender Insulinresistenz steigen die Glukosewerte nach Mahlzeiten. Die Glukose wird erheblich langsamer verarbeitet, und ein größerer Anteil wird in Fett umgewandelt und geht nicht in die Muskeln. Der Nüchtern-Blutzucker ist hier fast immer noch normal, damit ist der Langzeitblutzucker HbA1c nur minimal erhöht.
  • Die Insulinspiegel steigen auf das Drei- bis Fünffache im Vergleich zu Gesunden. Da die Glukose langsamer abgebaut wird, müssen diese Spiegel länger gehalten werden. Die Bauchspeicheldrüse muss beispielsweise das Zehnfache der „normalen“ Insulinproduktion leisten.
  • Irgendwann erreicht die Bauchspeicheldrüse die Kapazitätsgrenze (hier 5 Jahre vor der Diagnose). Die Insulinspiegel sinken wieder, da die Bauchspeicheldrüse durch hohe Blutfette geschädigt wird. Im Ergebnis läuft die Glukoseverarbeitung aus Ruder. Die Gewichtszunahme verlangsamt sich dagegen.
  • Je weniger Insulin produziert wird, desto höher steigen die Glukosespiegel. Erst jetzt steigt der Nüchternblutzucker an, und damit auch der Langzeitblutzucker HbA1c.
  • Die erhöhten Glukosespiegel schädigen die Bauchspeicheldrüse zusätzlich und verringern weiter die Insulinproduktion. Irgendwann wird die HbA1c-Marke von 6,5 überschritten, die Diabetes wird diagnostiziert.
  • Wird jetzt nicht medikamentös eingegriffen, steigt der Blutzucker schnell an. Das Gewicht bleibt meist stabil.

Es ist offensichtlich, dass die eigentliche Krankheit (Hyperinsulinämie oder stark erhöhte Insulinspiegel) bereits weit vor Erreichen der Diagnosekriterien für Diabetes vorliegt.

Das Gewicht muss übrigens nicht zwingend deutlich ansteigen. Bei vielen Menschen kommt es nur zu einer Verfettung der inneren Organe, sie sind „innerlich fett“ aber äußerlich dick.

Die korrekte Diagnose

Wie kann ich feststellen, ob ich mich bereits auf dem Weg zu Diabetes befinde?

Der Kraft-Test ist hierzulande leider fast unbekannt und wird nicht von der Krankenkasse bezahlt. Es gibt aber einige andere Werte, die Diabetes in situ nahezu sicher diagnostizieren. Die folgenden Blutwerte sind bereits in der Frühphase, d.h. bei leicht erhöhten Insulinspiegeln, erhöht:

  • Erhöhte Blutfette (Triglyzeride über 150) sind ein sicheres Zeichen für Insulinresistenz. Sie werden häufig bei Routineuntersuchungen gemessen.
  • Das Verhältnis von HDL-Cholesterin zu Triglyzeriden ist ebenfalls ein wichtiges Maß. Werte unter 1,5 sind gut.
  • Erhöhtes Gamma-GT (ein Leberwert) ist ein Anzeichen für Insulinresistenz.
  • Erhöhtes Nüchterninsulin (über 5 mU/l) ist eine gute Annäherung für die Insulinresistenz. Einige Hausärzte oder Internisten messen Insulin wenn man sie darum bittet. Dieser Wert schwankt allerdings stark und muss mehrfach gemessen werden um eine zuverlässige Aussage zu machen.
    Achtung: Der Normbereich ist absurd hoch (bis zu 30 mU/l), da fast alle Erwachsenen bereits stark überhöhte Insulinspiegel haben.

Die Diabetes klopft schon an die Tür wenn folgende Marker vorliegen:

Das Gegengift

Wenn unsere Glukosekontrolle nicht mehr funktioniert wie sie soll, gibt es eine naheliegende Lösung: Weniger Glukose (bzw. allgemein weniger Kohlenhydrate) essen. Je ausgeprägter unsere Symptome sind, desto stärker müssen Kohlenhydrate reduziert werden.

Natürlich ist ein geringer Kohlenhydratanteil in der Nahrung allein kein Maß für eine gesunde Ernährung. Wie Diabetes-in-situ mit gesunder Ernährung vermieden und geheilt werden kann findet ihr in meinem Buch.

Fußnoten

(1) HbA1c ist ein Maß für den mittelfristigen „Schaden durch Glukose“, d.h. der Anteil der roten Blutkörperchen die in den letzten 3-4 Monaten durch Glukose beschädigt wurden. Bei kohlenhydratreicher, westlicher Ernährung ist HbA1c ein gutes quantitatives Maß dafür ob der Körper die Glukose schnell verarbeiten kann, d.h. ob die Glukosespiegel nach einer Mahlzeit schnell sinken. Bleiben die Glukosespiegel lange hoch, reagiert mehr Hämoglobin mit Glukose und HbA1c steigt.
Dagegen ist der Nüchternblutzucker individuell schwankend und erheblich ungenauer. Ein erhöhter Nüchternblutzucker über 95 mg/dl zeigt ein Problem an, ist aber im Gegensatz zum HbA1c nur ein qualitatives Maß.
Beide Werte sind kein Maß für die Insulinresistenz. Diese wird am besten mit dem HOMA-IR bzw. dem Nüchterninsulin bestimmt.

(2) Der hier genannte Zusammenhang zwischen Fett und Insulinresistenz ist sehr komplex, und einen eigenen Blogeintrag wert. Es gibt verschiedene Formen des metabolischen Syndroms, die zu unterschiedlich starkem Fettaufbau führen. Nicht alle Menschen nehmen merklich zu, aber alle betroffenen Menschen bauen viszerales Fett auf, Fett um und in den inneren Organen wie Leber und Bauchspeicheldrüse.

Paläo, Keto oder was?

Wenn wir über Ernährungsformen sprechen, dann freuen wir uns immer über einen Begriff, der unsere Ernährung klar abgrenzt. Dies geht problemlos bei Ernährungen die von einem Autor erschaffen und beschrieben wurden (etwa Atkins, LOGI, Ornish u.a.). Leider gibt es keinen Namen für die Ernährung die ich empfehle — zumal ich nicht eine einzige Ernährung empfehle, sondern viel Wert auf die Beachtung individueller Erkrankungen und Unverträglichkeiten lege, wodurch sich meine Empfehlung drastisch verändern kann. Zur Begriffsklärung:

  • Eine typische westliche Ernährung enthält meist 250-350 Gramm Kohlenhydrate am Tag.
  • Von Low-Carb spricht man, wenn die Kohlenhydratmenge auf ca. 100g pro Tag beschränkt ist. Die genaue Grenze schwankt, je nach Low-Carb-Variante (z.B. Atkins, LOGI, Lutz). Low-Carb-Ernährungen können oft signifikante Proteinmengen beinhalten, auch wenn sie meist eher auf große Mengen Gemüse ausgerichtet sind.
  • Von LCHF (Low-Carb High-Fat, wenig Kohlenhydrate viel Fett) spricht man, wenn die Kohlenhydratmenge bei höchstens 50g (selten bis 75g) pro Tag liegt und Fett der hauptsächliche Kalorienträger ist.
  • Bei einer ketogenen Ernährung oder vLCHF/vLC (very Low-Carb [High-Fat], sehr wenig Kohlenhydrate und viel Fett) ist das Ziel, den Stoffwechsel dauerhaft in Ketose zu halten und somit die Energieaufnahme aus Kohlenhydraten stark zu beschränkten. Die Kohlenhydratmenge muss so niedrig sein, dass dauerhaft Ketone produziert werden. Für die meisten Menschen liegt diese Grenze bei ca. 25g, sie kann aber individuell deutlich höher oder niedriger sein.
  • Die Paläo-Diät beschränkt sich dagegen auf Lebensmittel, die schon zu den Zeiten der Jäger und Sammler verfügbar waren.

Die Philosophien

Vergleicht man die Paläo-Ernährung mit kohlenhydratbeschränkten Ernährungen (Keto oder Low-Carb), dann haben sie grundverschiedene Ansätze: Bei Keto geht es formell nur um Beschränkung von Kohlenhydraten, um Insulinspiegel niedrig zu halten und Insulinresistenz/Diabetes zu vermeiden und/oder abzubauen. Die Motivation dafür ist natürlich, dass Insulinresistenz maßgeblich all unsere Zivilisationskrankheiten auslöst (Benjamin Bikman hat erst in diesem Jahr ein hervorragendes Buch dazu veröffentlicht, „Why we get sick“).

Bei Paläo geht es vor allem um Vermeidung raffinierter und stark verarbeiteter Lebensmittel: Raffinierte Kohlenhydrate (Mehlprodukte, Zucker) sind ebenso verboten wie raffinierte Fette z.B. aus Getreide und Samen (Sonnenblumenöl, Maiskeimöl usw.). Ebenso sind Milchprodukte verboten, viele moderne Getränke (einschließlich Alkohol und Kaffee) und Hülsenfrüchte (die unsere Vorfahren vermeintlich nicht zubereiten konnten). Hier ist die Motivation, dass sich unsere Gene in den letzten Jahrtausenden kaum verändert haben, und wir von der Evolution bestens auf genau die Lebensmittel vorbereitet sind, die damals verfügbar waren.

Was ist besser, Paläo oder Kohlenhydratrestriktion?

Ich unterstütze beide Philosophien uneingeschränkt. Aber so einfach ist unsere Ernährung leider nicht dass wir nur einen einzigen Grundsatz betrachten müssen. (Und ich streite mich deshalb auch gerne hitzig mit Verfechtern beider Philosophien. Vor allem den „Ketogenen“ bin ich nicht keto genug.) „Keto“ ist natürlich denkbar einfach formuliert, man muss einfach eine Kohlenhydratgrenze einhalten. Aber das reicht eben nicht. Es ist beispielsweise erlaubt, pures Sonnenblumenöl zu trinken. Hier wird sogar die Philosophie verletzt: Neben der stark entzündungsfördernden Wirkung von Omega-6-Ölen führt dies auch wieder zu Insulinresistenz — Kohlenhydrate sind nicht die einzigen Substanzen, die Insulinresistenz erzeugen. Aber auch die Philosophie greift zu kurz: Ein gesundes Mikrobiom und Vermeidung von Umweltgiften und chemischen Zusätzen sind für eine gesunde Ernährung genauso unverzichtbar wie niedrige Insulinspiegel. „Echtes Essen“, aus frischen Zutaten gekocht und mit rohen Bestandteilen, ist essentiell. Industrielle Keto-Riegel mit Dutzenden von chemischen Zutaten (wie es sie in den Vereinigten Staaten inzwischen zu Hauf gibt) sind zwar formell perfekt ketogen, aber keinesfalls gesund.

Paläo erlaubt dagegen Fruchtzucker und Kohlenhydrate z.B. aus Kartoffeln und Reis. Dies ist in beschränkten Mengen für gesunde Menschen unproblematisch. Für insulinresistente Menschen können dies schon deutlich zu viele Kohlenhydrate sein: Die Insulinresistenz oder (Prä-)Diabetes und deren Folgen (Fettleber, verminderte Leistungsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse, entzündungsförderndes Fettgewebe) werden nicht abgebaut. Immerhin verbietet Paläo den Konsum von Omega-6-reichen Pflanzenölen. Zusammen mit einem Verbot raffinierter Kohlenhydrate eliminiert Paläo einige Hauptursachen für Insulinresistenz. Paläo ist fast automatisch eine Low-Carb-Ernährung.

Einen dicken Haken gibt es aber bei Beiden: Keto und Paläo ignorieren gleichermaßen die Frage von Antinährstoffen wie Lektinen und Oxalaten vollständig. Somit sind beide Ernährungsformen (in Reinform) aus meiner Sicht zu kurz gesprungen.

Die WFKD

Natürlich sind vielen Experten diese Defizite bekannt. Stephen Finney spricht z.B. von der „well formulated ketogenic diet„. Sie enthält einige Paläo-Charakteristiken, insbesondere die Empfehlung für „echtes Essen“. Die Warnung vor Omega-6 ist ebenfalls enthalten, verliert sich leider im Kleingedruckten. In den meisten Internetforen gehen solche subtilen Änderungen leider verloren, wie oft habe ich schon gelesen „veganes Keto ist kein Problem, Du kannst doch auch Rapsöl benutzen“.

Auch in der Paläo-Community gibt es oft die Empfehlung für wenig Kohlenhydrate und viel Fett. Bedauerlicherweise ist eine gewisse Fettphobie bei vielen Paläo-Anhängern fest verdrahtet. Empfehlungen für mageres Fleisch und viel Obst sorgen für Kopfschütteln unter allen, die schon einmal etwas von dem metabolischem Syndrom gehört haben.

Eine gesunde Mischung

Die Ernährung die ich in meinem Buch empfehle orientiert sich an einer Low-Carb-Paläo-Ernährung, auch wenn ich in einigen Punkten davon abweiche: Bei beschränkten Mengen von Milchprodukten, Kaffee/Tee und Hülsenfrüchten bin ich nicht von einer Schädlichkeit überzeugt. Dagegen empfehle ich eine Vermeidung verschiedener Antinährstoffe.

Meine ganz persönliche Philosophie ist die Beachtung folgender Grundsätze (grob gewichtet):

  1. Einschränkung der Kohlenhydratmenge, mit Augenmaß. Je stärker das metabolische Syndrom ausgeprägt ist, desto mehr müssen Kohlenhydrate reduziert werden.
  2. Strikte Beschränkung der Omega-6-Fettsäuren aus Pflanzenölen.
  3. „Echtes Essen“. Weitgehe Beschränkung von abgepackten Lebensmitteln, und chemischen Zusatzstoffen wie Emulgatoren, Konservierungsmittel, künstliche Aromen und Süßstoffe.
  4. Starke Beschränkungen in der Menge der Lektine (aus Hülsenfrüchten und Nachtschattengewächsen) und Oxalate (z.B. aus Spinat, Mangold, Kakao, Mandeln).
  5. Individuelle Anpassunngen je nach Verträglichkeit, wie z.B. Eliminierung von Milch(eiweiß) bei Unverträglichkeit von Laktose oder Milchprotein oder Vermeidung von Histamin bei Histaminintoleranz.

Kurzum: Paläo und Keto entspringen aus unterschiedlichen Grundideen, die beide richtig und wichtig sind. Nur die Kombination beider Ansätze ist nachhaltig und gesund.

Fasten

Ich habe zum zweiten Mal in meinem Leben länger als 48 Stunden gefastet. Und es war eine sehr erhellende Zeit.

Mein erstes Mal

Vor rund 2 Jahren machte ich den ersten Anlauf. Ich aß noch westliche Kost, stand (wie ich heute weiß) mitten im metabolischen Syndrom und in der Prädiabetes. (Eigentlich genau die Zielgruppe für mehrtägiges Fasten.) Der GU-Ratgeber war gründlich gelesen, angeblich ein Bestseller und bei Amazon gut bewertet. Ich fühlte mich gut vorbereitet, und folgte dem Ratgeber genau.

Das Fasten war ein Desaster. Der Hunger war nahezu unerträglich. Ich fieberte jedem Tag dem mageren Gemüsesaft entgegen, der dreimal täglich erlaubt war. Ich dachte an nichts anderes als Essen. Und nichts von dem trat ein, was im Buch oder in anderen Quellen zu hören war: „Nach 3 Tagen ist der Hunger weg, man fühlt sich großartig.“ Keine geistige Klarheit, der Hunger wurde immer schlimmer, ich war zu nichts zu gebrauchen. Energie hatte ich gar keine mehr. Ich stand die 5 Tage nur mit Mühe und Not durch, und auch im Nachgang gab es keine positiven Effekte. Ein Gewichtsverlust blieb auch nicht, im Gegenteil: Schon 2 Wochen nach dem Fasten wog ich etwas mehr als vorher, obwohl ich weiß Gott nicht übermäßig gegessen hatte. Andere Gesundheitsvorteile gab es nicht. Wenig überrraschend beschloss ich damals, nie wieder zu fasten.

Warum fasten?

In den letzten 2 Jahren habe ich viel gelernt. Meine Ernährung wurde kohlenhydratarm, ich strich Omega-6-Fette vom Speiseplan und aß paläolithisch. Ich nahm 15 Kilo ab, die Blutwerte wurden besser und meine Krankheit (ME/CFS) besserte sich etwas. Aber im letzten halben Jahr gab es Stagnation: Das Gewicht blieb stabil, der Nüchtern-Blutzucker unverändert bei 105 (ein Zeichen für Insulinresistenz, die morgendlichen Glukosespiegel liegen bei ketogener Ernährung paradoxerweise oft höher als bei kohlenhydratreicher Ernährung). Die Blutwerte für Triglyzeride und HDL stabilisierten sich weitab von meinen persönlichen Zielwerten (Triglyzeride unter 100, HDL über 70).

In dieser Situation kann Fasten dem Körper einen Schub geben: Die Glukosewerte stabilisieren sich deutlich unter den Normalwerten und Insulin ist über mehrere Tage sehr niedrig. Der Körper ist gezwungen das eigene Fett zu verbrennen, anstelle sich auf auf das Fett in der Nahrung zu verlassen. Und hoffentlich wird das so kritische viszerale Fett (das Fett in den Organen wie der Leber und der Bauchspeicheldrüse) zuerst abgebaut.

Ein genauso wichtiges Ziel ist das Anstoßen der Autophagie. Dadurch wird der Körper angeregt, beschädigte Zellen zu eliminieren und nach dem Fasten durch neue Zellen zu ersetzen. Zudem erhofft man durch Autophagie eine Stärkung des Immunsystems.

Natürlich ging ich es diesmal anders an als vorher. Ein Entlastungstag war nicht notwendig. Die Darmreinigung wurde mit etwas Magnesiumcitrat deutlich schonender bewerkstelligt als mit Glaubersalz. Es gab keinen Honig. Und vielleicht am wichtigsten: Anstelle Gemüsesaft gab es selbstgekochte Knochenbrühe, ca. ein halber Liter am Tag. Dies ist eine bessere Quelle für Elektrolyte und Spurenelemente, bringt dem Körper etwas Eiweiß und enthält zudem Bestandteile wie Collagen, die gut für das Mikrobiom sind. Und vor allem enthält Knochenbrühe keine Lektine, die in Form von Tomatensaft in fast jeder Gemüsebrühe reichlich enthalten sind.

Once more with feeling…

Über eins muss man sich klar sein: Beim Fasten verschwindet der Hunger nie. Aber diesmal war der Hunger viel erträglicher. Vergleichbar mit einem lästigen Schnitt am Finger: Er war die ganze Zeit da, aber er behinderte mich nicht, und wenn ich mit anderen Dingen beschäftigt war vergaß ich ihn ganz. Das macht auch Sinn: Wenn unsere Vorfahren im Winter in der Höhle saßen und nichts zu beißen hatten, musste definitiv ein kleiner Mann im Bauch sagen „beweg Dein Hinterteil und besorg jetzt was zu essen!“, gleichzeitig durfte der Hunger aber keine Blockade auslösen.

Auch der Energiemangel war diesmal nur moderat. Am schlimmsten war die Müdigkeit, da ich nachts wenig schlief und tagsüber öfters wegnickte. Mein Restless Legs brach immer wieder durch (was ich schon bei früher bemerkt hatte, als ich öfters mal einen Tag fastete), möglicherweise weil Giftstoffe aus den Fettzellen gelöst wurden. Und auch wenn ich mich am Ende definitiv sehr auf das erste Essen freute: Ich stand die 7 Tage, die ich mir vorgenommen hatte, problemlos durch.

Fasten-Ratgeber

In einer der schlaflosen Nächte blätterte ich erneut durch den im Schrank modernden Ratgeber, und das ebenfalls erworbene Buch „Richtig essen nach dem Fasten“. Kurz ausgedrückt: Hanebüchener Unsinn. (Dabei ist diese Buch keinesfalls ein unschöner Ausreißer, sondern leider prototypisch für viele Fasten-Leitfäden die man online findet.) Der Autor hat nicht die geringste Ahnung von Stoffwechselprozessen. Er kennt keine Keto-Grippe (denn diese legte mich bei meinem ersten Fasten-Versuch lahm), die immer entsteht wenn ein jahrzehntelang an Kohlenhydrate trainierter Körper sich auf Fettverbrennung umstellen muss. Der Autor wird diese niemals selbst erfahren haben: Ein gesunder Körper stellt sich mühelos von Kohlenhydraten auf Fettverbrennung um. Dagegen trifft die Keto-Grippe insulinresistente Menschen (wie Diabetiker und Prädiabetiker) mit voller Wucht. Wer regelmäßig fastet, der trainiert diese Umstellung und hält sich metabolisch flexibel. Aber gerade insulinresistente Menschen profitieren am meisten vom Fasten, für sie sollte man möglichst präzise beschreiben was sie zu erwarten haben.

Ich kann nur empfehlen, vor dem Fasten zumindeste probeweise auf ketogenes Essen umzustellen. Wenn es in der ersten Woche zu keinen Beschwerden kommt, wird auch das Fasten problemlos werden. Wenn dagegen die Symptome der Keto-Grippe erscheinen, ist es sicherlich erträglicher, die ketogene Ernährung beizubehalten bis die Keto-Grippe durchgestanden ist, und erst dann zu fasten.

Aber auch sonst sind beide Bücher geradezu ein Gruselkabinett. Fast alle Rezepte sind völlig fettfrei, und viele Thesen entbehren nicht nur wissenschaftlicher Grundlagen, sondern sind offensichtlicher Blödsinn. So wird etwa an einer Stelle an Fallbeispielen gewarnt, was passiert wenn man nach dem Fasten zu schnell wieder zu viel isst: Eine Frau hätte nach einem reichlichen Essen mit Nachtisch (irgendwelcher Zuckerkram) am nächsten Tag 1,3 Kilogramm mehr gewogen, die Ergebnisse einer halben Woche Fasten zunichte gemacht. Entschuldigung: Selbst ein einfach gestrickter Mensch dürfte einsehen, dass man mindestens 1,3 Kilogramm essen muss um 1,3 Kilogramm zuzunehmen (in der Praxis erheblich mehr, da Protein und Kohlenhydrate eine geringere Energiedichte haben als das eingelagerte Fett, und eine Einlagerung nie verlustfrei erfolgt).

Die Waage als Selbstbestätigung

Die geschilderte Gewichtszunahme war schlichtweg das Ergebnis des Kohlenhydratkonsums: Der Körper wandelt Glukose in Glykogen um, das in Wasser gelöst gespeichert wird. Werden 200g Kohlenhydrate eingelagert, steigt das Gewicht um rund ein Kilogramm (da jedes Gramm Glykogen in etwa 3-5 Gramm Wasser eingelagert wird). Das ist übrigens auch der Grund, weshalb Menschen nach kohlenhydratreicher Ernährung in den ersten Fastentagen sehr viel Gewicht verlieren: Das Leeren der Glykogenspeicher (500-600 Gramm), das in den ersten drei Tagen erfolgt, schlägt mit rund 2,5 Kilogramm Gewichtsverlust zu Buche. Diese 2,5 Kilogramm sind natürlich nach dem Fasten sofort wieder drauf, wenn die Glykogenspeicher wieder gefüllt sind…

Überhaupt das Abnehmen. Man soll auf der Waage jeden Tag seinen Fortschritt kontrollieren, und am Ende des dritten Aufbautags (3 Tage nach Fastenende) könne man endgültig sehen wie viel man abgenommen hat. Auch dies ist Unsinn: Besonders bei unzureichender Zufuhr von Elektrolyten (wie bei den empfohlenen Gemüsesäften) verliert der Körper weiteres Wasser. Isst man wie beschrieben eine stark reduzierte Aufbaukost, normalisieren sich die Elektrolyte nicht und die Glykogenspeicher füllen sich nicht wieder. Eine endgültige Erfolgskontrolle ist erst sinnvoll, nachdem man etwa eine Woche wieder normal gegessen hat.

Natürlich darf man gerne jeden Morgen auf die Waage stellen, besonders wenn man mit Motivationsproblemen kämpft. Aber das Gewicht wird nach dem Fasten wieder um einige Kilogramm steigen, das ist ganz normal (und überwiegend schlichtweg harmloses Wasser).

Fazit

Ob mein Fasten etwas gebracht hat, werde ich in einigen Monaten sehen. Fasten ist keine Maßnahme zur kurzfristigen Gewichtsabnahme, sondern ein „Neustart“ des Körpers. Für mich war die Fastenphase ein Erfolg, wenn sich die Blutwerte wieder in die richtige Richtung bewegen und ich wieder „normal“ mit ketogener Kost abnehme (denn rund 15 Kilo sollen noch weg).

Mein Rat zum Fasten ist: Vergesst alles, was in zweifelhaften Ratgebern steht. Wer sich ketogen oder kohlenhydratarm ernährt, kann ohne jede Vorbereitung fasten. Bei kohlenhydratreicher Nahrung muss man mit dagegen erheblichen Problemen rechnen — je schlimmer, desto notwendiger ist eine Umstellung auf kohlenhydratreiche Kost, da dies die Folgen des metabolischen Syndroms sind.

Kräftig gesalzene Knochenbrühe ist die perfekte tägliche Ergänzung der Elektrolyte. Diese darf gerne etwas Fett enthalten. Sie ist neutral für den Blutzucker und hat praktisch keine Insulinantwort, so dass die eigentlichen Ziele des Fastens nicht behindert werden. Alternativ darf es auch Gemüsebrühe sein, die lange Zeit geköchelt hat (dadurch zerfallen die meisten Lektine). Bei längerem Fasten (eine Woche oder mehr) ist aber eine dosierte Eiweißzufuhr sinnvoll, da der Körper jeden Tag etwas Eiweiß abbaut und zu Glukose umwandelt, denn einige Zellen in unserem Körper kommen nicht ohne Glukose aus. Die Experten streiten sich, ob dieser Eiweißabbau kritisch ist und ob dadurch Muskelmasse abgebaut wird. Knochenbrühe (die Eiweiß enthält) beugt dem vor.

Mein persönliches Nahrungsergänzungsprogramm bestand zudem aus Kaliumcitrat, Magnesiumcitrat, einem Vitaminkomplex und eine ordentliche Dosis eines Omega-3-Präparats. Wohl bekomms!

Funktionelle, ganzheitliche oder ursachenzentrierte Medizin?

Eine kleine Suche auf Wikipedia nach verschiedenen Medizinbegriffen ergibt ein trauriges Ergebnis. „Funktionelle Medizin“ gibt es nicht, der Eintrag für „ganzheitliche Medizin“ enthält überwiegend Geschwafel. Auf der englischsprachigen Wikipedia wird funktionale Medizin sogar mit Quacksalberei gleichgesetzt: „Functional medicine is a form of alternative medicine that encompasses a number of unproven and disproven methods and treatments. […] It has been described as pseudoscience, quackery, and at its essence a rebranding of complementary and alternative medicine.

Besonders der englische Eintrag schlägt mir auf den Magen. Zwischen den beiden oben zitierten Sätzen steht etwas, das als nahezu korrekte Definition durchgehen mag: „Its proponents claim that it focuses on the ‚root causes‘ of diseases based on interactions between the environment and the gastrointestinal, endocrine, and immune systems to develop ‚individualized treatment plans‘.“. Auf Deutsch: Es geht darum, die individuellen Ursachen von Krankheiten zu finden und zu beseitigen. Und dies ist der Kern der funktionellen oder ganzheitlichen Medizin. Eine Abgrenzung zur klassischen Medizin ist weder notwendig noch sinnvoll.

Das große Problem an dieser Begrifflichkeit ist, dass die funktionelle Medizin tatsächlich nahezu von Quacksalbern „gekapert“ wurde. Im englischen und deutschen Sprachraum findet man zu „ganzheitlicher Medizin“ jede Menge dubiose bis grob kriminelle Praktiken, die sich nur wenig von mittelalterlichen Warzenbesprechungen und Teufelsaustreibungen unterscheiden. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich hervorragende Mediziner, die klassische Medizin mit ganzheitlicher Medizin verbinden.

Vielleicht benötigen wir einen neuen Begriff, um uns von Quacksalbern abzugrenzen. Mein persönlicher Vorschlag dafür wäre „ursachenzentrierte Medizin“.

Ursachenzentrierte Medizin

Die klassische Medizin hat beeindruckende Erfolge vorzuweisen. Sie funktioniert meist hervorragend bei akuten Erkrankungen, denn dort wird die Ursache behandelt: Ein Knochenbruch oder Bänderriss wird chirurgisch behandelt, eine lebensgefährliche bakterielle Infektion wird mit Antibiotika behandelt. Nicht die Symptome (Schmerzen bzw. Fieber), sondern der Auslöser der Krankheit wird therapiert.

Bei der Behandlung chronischer Krankheiten ändert sich das Bild. Anstelle die Ursache zu beseitigen, behandeln wir Sympome. Betrachten wir z.B. Diabetes: Das Leitsymptom von Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes ist gleich (die Glukosespiegel im Blut sind überhöht), und die Behandlung ist (oft) gleich, wir spritzen Insulin. Die Ursachen sind allerdings verschieden, was sich über einen Blick auf den Insulinspiegel leicht unterscheiden lässt:

  • Bei T1D produziert die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin. Ein Typ-1-Diabetiker bekommt Insulin um zu überleben.
  • Bei T2D produziert die Bauchspeicheldrüse noch Insulin , das Insulin reicht aber aufgrund von Insulinresistenz nicht aus. Erst später verliert die Bauchspeicheldrüse die Fähigkeit zur Insulinproduktion graduell. Deshalb ist bei T2D eine Behandlung mit Insulin kontraproduktiv (wenn die Bauchspeicheldrüse noch Insulin produziert) und die Insulinresistenz muss behandelt werden, denn überhöhte Insulinspiegel richten viel Schaden an. (Dieses Thema ist allerdings komplex und umstritten. Schaut in das Diabetes-Kapitel in meinem Buch für eine ausführliche Diskussion.)

Das Problem bei chronischen Krankheiten ist, dass sich die Ursache nicht aus den Symptomen ableiten lässt. Bei einer bakteriellen Infektion sind charakteristische Entzündungsmarker erhöht, die Ursache (Vorhandensein von Bakterien) lässt sich sicher feststellen. Ein gebrochenes Bein lässt sich per Röntgenbild diagnostizieren. Bei Demenz, Gicht oder Diabetes geht das nicht: Wir können die Krankheit diagnostizieren (kognitive Ausfälle, erhöhte Harnsäure und erhöhter Blutzucker), aber nicht die Ursache.

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Leider lernen Ärzte in ihrer Ausbildung primär, welche Medikamente bei welchen Symptomen anzuwenden sind. Die Ursachenforschung bleibt auf der Strecke.

Medikamente können bei vielen chronischen Krankheiten die Symptome lindern, aber nicht die Krankheit heilen. Zudem führen sie oft zu Nebenwirkungen, die mit weiteren Medikamenten behandelt werden müssen. Heilen lässt sich eine chronische Krankheit aber nur durch Therapie der Ursache. Ein Vergleich: Wenn ein Auto Öl verliert, ist das Nachfüllen von Öl eine symptomorientierte Behandlung, die das Symptom möglicherweise lange Zeit gut beseitigt. Es gibt aber Nebenwirkungen (Umweltverschmutzung) und ein nicht unwesentliches Risiko, dass der Ölverlust mit der Zeit stärker wird und das Auto ganz kaputt geht. Eine ursachenzentrierte Behandlung wäre es, das Auto in die Werkstatt zu bringen.

Ein Beispiel: Sodbrennen

Nun sind Vergleiche billig und hinken oft, deshalb ein konkretes, medizinisches Beispiel: Sodbrennen entsteht, wenn Magensäure in die Speiseröhre fließt. Bei chronischem Sodbrennen funktioniert der Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Magen nicht mehr zuverlässig, die Magensäure fließt häufig in die Speiseröhre und verätzt sie. Die dadurch entstehenden Entzündungen sind sehr schmerzhaft und können zu Vernarbung und Krebs führen, müssen also behandelt werden.

Die Antwort der symptomzentrierten Behandlung ist eine Absenkung der Magensäure durch Protonenpumpeninhibitoren (PPIs: Omeprazol, Pantoprazol u.ä.). Dies ist bei gelegentlichem Sodbrennen eine passable Behandlung, allerdings eine fatale Sackgasse bei chronischem Sodbrennen:

  • Die Magensäure wird zwar stark vermindert, der Verschluss zwischen Magen und Speiseröhre bleibt aber gestört. Selbst eine verminderte Magensäure kann Sodbrennen auslösen.
  • Schlimmer ist die Beeinträchtigung der Verdauung. Wir benötigen einen sehr „sauren“ Magen, um Nahrung korrekt zu verdauen und Vitamine/Spurenelemente aufzunehmen. Zudem ist die Magensäure ein wichtiger Verteidigungsmechanismus gegen Viren, Bakterien und Pilze, die wir zwingend mit der Nahrung konsumieren. Und schlussendlich führt verminderte Magensäure zu einer Fehlbesiedelung der Darmbakterien, des sogenannten Mikrobioms.

Die langfristigen Folgen der PPI-Behandlung sind leider noch nicht gut erforscht, da PPIs erst seit Ende der 80er Jahre bekannt sind. Inzwischen gehören sie zu den umsatzstärksten Medikamenten und werden nahezu wie Bonbons verschrieben, in Deutschland derzeit fast 4 Milliarden Tagesdosen pro Jahr. Mehr als 10% der Deutschen nehmen täglich PPIs.

Langfristige Folgen

Und tatsächlich funktionieren PPIs erst einmal sehr gut, und sind praktisch nebenwirkungsfrei. Dank guter kurzfristiger Verträglichkeit verzichtete man auf langfristige Studien. Die langfristige Bilanz ist dagegen katastrophal, und nach meiner persönlichen Ansicht könnten sich PPIs als der zweitschlimmste Fehlschlag in der Behandlung chronischer Krankheiten herausstellen (nach Statinen):

  • PPIs führen mindestens zu Defiziten an Vitamin B12, Calcium und Eisen. Weitere Defizite werden vermutet.
  • Dies kann zu einer ganzen Reihe von Krankheiten führen. Die Apotheker-Zeitung verweist auf Demenz, Atherosklerose, häufige Knochenbrüche und viele weitere Krankheiten (vgl. die dort verlinken Studien). Einiges davon ist umstritten, da die Studienlage widersprüchlich ist. Aber selbst wenn sich nur wenige dieser Vermutungen bestätigen, dürfte sich eine Dauerbehandlung mit PPIs als stark gesundheitsschädlich herausstellen.
  • PPIs lassen sich nach langer Einnahme kaum wieder absetzen, da es zu einem „Rebound“ mit stark erhöhter Magensäureproduktion kommt.
    Die Geister, die ich rief…

Die Alternative

Die PPI-Behandlung geht vollständig an der Ursache vorbei. Der Verschluss zwischen Magen und Speiseröhre wird nicht repariert, eine Absenkung der Magensäure ändert das nicht. Die Mechanismen für Sodbrennen sind zwar nicht vollständig erforscht, es gibt aber zahlreiche Hinweise dass Sodbrennen eine Folge von überhöhtem Kohlenhydratkonsum und dem metabolische Syndrom ist. Ein direkter Zusammenhang zwischen Kohlenhydratkonsum und Stärke des Sodbrennens ist bekannt. Der vermutete Mechanismus: Entzündungen, erhöhte Harnsäurespiegel und mangelndes Adiponectin (klassische Folgen des MetS) schädigen das Bindegewebe. Dazu kommt die erhöhte Säureproduktion als Reaktion auf Konsum von Zucker und kurzkettigen Kohlenhydraten.

Die Therapie ist offensichtlich: Eine Umstellung auf kohlenhydratarme Kost beseitigt Sodbrennen nachhaltig und dauerhaft. In einer Studie wurden 144 fettleibige Frauen (BMI zwischen 30 und 40) auf eine ketogene Ernährung umgestellt. Nach 10 Wochen waren alle 144 Frauen frei von Sodbrennen und hatten alle Medikamente abgesetzt. Das ist bemerkenswert: Ein Verschwinden der Krankheit bei 100% der Patienten dürfte bisher keine einzige Studie mit medikamentösen Therapien erreicht haben. Die Funktion des Schließmuskels wurde wohlgemerkt wiederhergestellt, denn eine ketogene Ernährung führt eher zu verstärktem Magensäureausstoß. Der erhöhte Fettkonsum ist völlig unproblematisch, da es keinen Zusammenhang zwischen Fett und Sodbrennen gibt. Ein Musterbeispiel für ursachenzentrierte Medizin, der Krankheitsauslöser wird beseitigt.

Diabetes

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Es ist leicht messbar, dass die ursachenzentrierte Medizin bei vielen Krankheiten dramatisch besser ist als die symptomzentrierte Behandlung. Zurück zur Diabetes: Eine leitliniengerechte, symptomorientierte, medikamentöse Behandlung von Typ-2-Diabetes führt innerhalb von 7 Jahren nur bei 1,47% zu einer teilweisen Remission (HbA1C ohne medikamentöse Therapie unter 6,4). Die ursachenzentrierte Behandlung mittels Kohlenhydratrestriktion (Diabetes ist eine Fehlregulation des Glukosehaushalts, und wir können ohne gesundheitliche Probleme den Glukosekonsum um 90% reduzieren) erreicht dagegen eine Quote von rund 60%.

Die letzte Waffe der symptomzentrierten Medizin ist bariatrische Chirurgie, die eine ähnliche „Erfolgsrate“ bei Diabetes hat. Die Risiken sind allerdings erheblich: Einer von 300 Patienten stirbt an den Folgen der Operation, bei bis zu 17% kommt es zu Komplikationen. Nach wenigen Jahren kommt es zu erheblichen Nährstoffdefiziten, die Patienten müssen für den Rest ihres Lebens Nahrungsergänzungsmittel nehmen. Die Folgen sind Depressionen und eine vierfach erhöhte Selbstmordrate, andere Folgekrankheiten werden derzeit noch erforscht. Dabei nehmen viele Patienten nach einigen Jahren wieder zu.

Die Effektivität einer Low-Carb-Behandlung bei Diabetes ist seit mehr als 20 Jahren aus wissenschaftlichen Studien bekannt. Dennoch bekämpfen medizinische Organisationen Ärzte, die eine Kohlenhydratreduktion bei Diabetes empfehlen, hart – bis hin zu Berufsverboten. Die Verachtung, die klassische Mediziner gegenüber nicht-medikamentösen Behandlungen zeigen, trägt eine Mitschuld an der derzeitigen Diabetes-Epidemie.

Die in den Beispielen genannten Behandlungsmethoden sind keinesfalls Wundermittel. Es gibt einige Patienten, bei denen Kohlenhydratrestriktion weder Diabetes noch Sodbrennen beseitigt. Hier müssen andere, oft medikamentöse Behandlungsmethoden angewendet werden. Aber ein Arzt wird immer zuerst die Therapie verwenden, die am erfolgversprechendsten bei geringsten Nebenwirkungen ist. Hier ist das die Ernährungsumstellung, alternative Therapien und Medikamente sind zweite Wahl.

Ebenso gibt es viele Krankheiten, die sich nur medikamentös behandeln lassen – teils weil wir die Ursache (noch) nicht kennen, teils weil wir sie nicht korrigieren können. Bei vielen Krankheiten müssen wir mehr Ursachenforschung betreiben, um hoffentlich schonendere Behandlungsmethoden zu finden.

Nun sag, wie hast du’s mit der Wissenschaft?

Aus obigen Beispielen (von denen es noch viel mehr gibt) dürfte klarwerden, dass die ursachenzentrierte Medizin keinesfalls unwissenschaftlich ist und nicht im Widerspruch zur klassischen Medizin steht. Ganz im Gegenteil: Die Diagnose der Ursache ist harte Wissenschaft und benötigt den Einsatz aller bekannter diagnostischer Mittel. Ebenso muss ein plausibler biologischer bzw. chemischer Mechanismus bekannt sein, der den Zusammenhang zwischen Ursache und Symptom herstellt. Eine effektive und nebenwirkungsfreie Behandlung kann nur erfolgen, wenn die Effektivität und Verträglichkeit mittels Studien nachgewiesen wurde. Die Wirkung ist zu 100% messbar und nicht subjektiv.

An der Messbarkeit scheitern natürlich alle Wunderheiler. Wer etwa mit Magnetfeldtherapien oder Energieströmen „behandelt“, kann nichts messen oder erklären (auch wenn es eine gängige Praxis ist, möglichst komplizierte wissenschaftliche Begriffe zur Verwirrung der Patienten zu verwenden). Das hat nichts mit funktionaler Medizin zu tun. Dennoch sind es gerade diese „Heiler“, die am häufigsten die ganzheitliche Medizin im Munde führen – und von der klassischen Medizin kommt kein Gegenwind.

Und natürlich wird ein ursachenzentriert arbeitender Arzt oft die klassische Medizin anwenden. Sodbrennen wird (zuerst) mit Ernährungsumstellung behandelt, eine gefährliche bakterielle Infektion (zuerst) mit Antibiotika.

Ursachenzentrierte Medizin ist die Zukunft, und nicht eine Erfindung von Spinnern, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern.

Mikronährstoffe, Diäten und Übergewicht

Ein Abstecher in die Corona-Welt

Vorgestern erreichte mich tatsächlich per WhatsApp die erste vollständig ernst gemeinte Verschwörungstheorie: Bill Gates ist es, der uns allen mittels Zwangsimpfungen einen Chip einpflanzen will. COVID-19 wurde nur aus diesem Grund synthetisch entwickelt und schon vor Jahren patentiert. Aha. Was denn dieser Chip anstellen solle war mir dann nicht klar — werden wir alle zu Borg? Eingebettet in die Theorie war übrigens auch der Hinweis, dass ich ganz alleine an meiner Krankheit ME/CFS schuld wäre. Immerhin habe die Autorin mir schon vor langer Zeit die „chinesische Quantum-Methode“ (CQM) empfohlen, die alle meine Beschwerden geheilt hätte. (Die Methode schien mir übrigens nicht chinesisch zu sein, und ich konnte keinen Zusammenhang mit Quanten oder Quantenphysik erkennen. Stattdessen sah ich nur eine wenig überzeugende 08/15-Wunderheilung. Vielleicht haben mich ein paar Semester Physikstudium verblendet.)

Nun kann und will ich alle diese Theorien nicht widerlegen. (Welche Beweise kann ich erbringen, dass kein fliegendes Spaghettimonster existiert? Das ist nicht möglich, egal wie schlau ich es anstellen will.) Fehlende Falsifizierbarkeit ist die Grundlage vieler esoterischer Behandlungsansätze. Ich bin Naturwissenschaftler und halte mich lieber an Methoden, die ein objektives Maß für den Erfolg haben. Der Erfolg einer Behandlung muss messbar sein, und dann können wir sie mit Studien bewerten und mit anderen Behandlungsmethoden vergleichen. Ein HbA1c ist 5,6 oder 6,5 oder was auch immer, aber wenn er durch eine Intervention gesenkt wird dann ist das gut.

Schwierig wird die Sache, wenn Parameter schwer zu messen sind. Der Eisengehalt im Gehirn lässt sich nur per Autopsie bestimmen, zum Leidwesen aller Restless-Legs-Patienten. Ebenso mag es messbare Größen geben, die wir heutzutage noch nicht messen können. Vor 200 Jahren hätten wir den HbA1c noch nicht bestimmen können. Dennoch: Liebe Leute, lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Wunderheilungen existieren nicht.

Zudem ist es schon sehr komisch, dass fast immer jemand gut an diesen kruden Theorien verdient. Für die CQM finden mehrmals im Monat Seminare statt, mit schlappen 1190,-€ pro Teilnehmer — und Absolventen verdienen eine Provision wenn sie neue Teilnehmer anschleppen. Die aggressive Vermarktung des Coachings erinnert mich an das inzwischen fast ausgestorbene Vertretertum für nutzlose Haushaltsgeräte und Lexika, offensichtlich auch heutzutage noch eine gute Einnahmequelle für die Hersteller. Natürlich kommen esoterische Therapien nicht mit 14-Tage-Geld-zurück-Garantien. Wenn die Therapie nicht anschlägt, dann ist im Zweifelsfall der Patient schuld. Deshalb eignen sich krude Theorien heutzutage besser für den aggressiven Direktvertrieb als Küchenmaschinen.

Low Carb vs. Low Fat, eine neue Studie

Aber zurück zur Ernährung. Dieser Tage stolperte ich über ein Preprint einer neuen Studie, in der fettarme und kohlenhydratarme Ernährung verglichen wird. Bevor ich die Studie verreiße, möchte ich eins klarstellen: Wenn jede Ernährungs-Studie so akribisch dokumentiert wäre, dann wären wir nicht in der heutigen Ernährungs-Misere. Ich erkenne ganz genau was mit den Teilnehmern gemacht wurde, und welche Ergebnisse dies hatte.

Der Titel der Studie lautet „A plant-based, low-fat diet decreases ad libitum energy intake compared to an animal-based, ketogenic diet“ (eine pflanzenbasierte, fettarme Ernährung senkt die Energieaufnahme gegenüber einer tierbasierten ketogenen Ernährung) und schlussfolgert „ad libitum energy intake was 689±73 kcal/d lower during the PBLF diet as compared to the ABLC diet […]. These data challenge the veracity of the carbohydrate-insulin model of obesity and suggest that the PBLF diet had benefits for appetite control whereas the ABLC diet had benefits for lowering blood glucose and insulin.“ (Die Richtigkeit des Kohlenhydrat-Insulin-Modells wird angezweifelt, der Appetit sank nicht unter ketogener Ernährung.) Die Teilnehmer waren nicht kalorienbeschränkt, und die fettarme Ernährung (PBLF) führte zu geringerer Energieaufnahme als die ketogene Ernährung (ABLC).

Der erste offensichtliche Fehltritt ist, dass überhaupt auf die Energieaufnahme geschaut wird. Das Dogma, dass die Kalorienaufnahme wichtig ist und jede Kalorie zu viel als Fett angelegt wird, ist längst widerlegt. Wen interessiert es, ob ich 2.000 oder 5.000 Kalorien am Tag esse, solange das gewünschte Ergebnis (Gewicht, Fettanteil, metabolische Gesundheit) erzielt wird? Klar ersichtlich war übrigens, dass die Probanden unter einer Low-Carb-Ernährung mehr Energie verbrauchten. Sie aßen 689 Kalorien am Tag mehr, aber sie verloren Gewicht. Darin einen Vorteil der fettarmen Ernährung zu sehen ist schon gewagt.

Der zweite Fehltritt ist der sehr hohe Anteil an Omega-6-Fetten in der ketogenen Ernährung. Gesunde Ernährung wird nicht durch das Verhältnis von Fett und Kohlenhydraten definiert, sondern die Frage „welches Fett“ (billiges Pflanzenöl oder tierische Fette) ist genauso wichtig wie die Frage „welche Kohlenhydrate“ (ganz offensichtlich macht es einen Unterschied, ob man 200g Zucker oder 200g Vollkornbrot isst). Auch auf Antinährstoffe wurde nicht geachtet, die verwendeten Mahlzeiten waren reich an Lektinen.

Low-Fat verliert gegen Low-Carb?

Warum rede ich noch weiter über diese Studie? Beim näheren Hinsehen finde ich ein sehr viel interessanteres Ergebnis: Die Gewichtsabnahme in der Low-Fat-Gruppe war zwar etwas geringer als in der Low-Carb-Gruppe, aber unter ketogener Ernährung verloren die Probanden vor allem Wasser und nur minimal Fett, während in der Low-Fat-Gruppe etwas Fett (ca. 600-700g) abgebaut wurde. Wie kann das sein? Dafür müssen wir uns das Experiment im Detail anschauen: Jeder Teilnehmer aß 2 Wochen ketogen und 2 Wochen fettarm, die Reihenfolge (erst ketogen oder erst fettarm) wurde zufällig bestimmt. Zudem wurden jedem Teilnehmer 5 Mahlzeiten am Tag serviert, 3 Hauptmahlzeiten und 2 Snacks.

Nun sind 2 Wochen ein viel zu kurzer Zeitraum, um die Auswirkungen einer Ernährungsumstellung zu bewerten. Der Körper benötigt bis zu 3 Wochen, um sich auf ketogene Ernährung umzustellen. (Je schwerer die metabolischen Schäden, desto länger dauert die Umgewöhnung. Kinder schaffen das in einer einzigen Nacht.) Ein Gewichtsverlust in den ersten Wochen ist primär ein Wasserverlust, der leicht etliche Kilo ausmachen kann. Ein anderer Grund für einen mangelnden Fettverlust ist aber auch die Häufigkeit der Mahlzeiten: Unter ketogener Ernährung stellen sich fast alle Menschen schnell auf 3 oder weniger Mahlzeiten pro Tag um. Zwischenmahlzeiten lassen wir weg. Der Fettabbau erfolgt durch die längeren Fastenzeiten, in denen körpereigenes Fett abgebaut wird.

Insofern können wir ein interessantes Zwischenergebnis festhalten: Wenn wir häufig genug essen, dann führt ketogene Ernährung führt nicht zwingend zum Abnehmen, zumindest in den ersten 2 Wochen. Ebenso können wir in den ersten zwei Wochen mit fettarmer Ernährung gut abnehmen (sofern wir insulinsensitiv sind, was man bei den jungen und nur moderat übergewichtigen Teilnehmern dieser Studie annehmen kann).

Mikronährstoffe

Des Pudels Kern ist womöglich ein anderer Effekt. Ich selber habe früher unzählige Abnehmversuche mit einer fettarmen Ernährung gemacht. Die ersten Wochen gingen immer prima, aber nach 3-4 Wochen wuchs mein Appetit ins Unermessliche. Irgendwann kam entweder ein regelrechter Heißhunger, oder ich beendete die Diät. Wie kam es dazu? Die Ursache ist möglicherweise ein Defizit an Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe und essentielle Aminosäuren) in der Diät.

Bekannt ist, dass übergewichtige Menschen oft Defizite an Mikronährstoffen haben. Früher beobachtete man dies vor allem nach Adipositaschirurgie. Inzwischen weiß man aber, dass schwer übergewichtige Menschen schon vor dem Eingriff Defizite haben. Ich kenne auch Spekulationen, wie Defizite zu Übergewicht führen könnten. Sie beeinflussen z.B. die Empfindlichkeit für Leptin (ein Sättigungshormon).

Allerdings hat meines Wissens niemand die naheliegende Frage untersucht, welche Folge Mikronährstoffmangel auf den Appetit hat. Dabei werden wir maßgeblich durch solche Mängel gesteuert: Wer Salzverlust hat (z.B. nach einer durchzechten Nacht), benötigt salzhaltiges Essen. Unser Appetit auf bestimmte Lebensmittel (wie einige Gemüse oder Nüsse) schwankt stark von Tag zu Tag. Weshalb?

Mir scheint es naheliegend, dass unser Hunger/Appetit (bis zu einem gewissen Grad) durch die Balance der Mikronährstoffe gesteuert wird. Die Urmenschen hatten keine Tabellen für empfohlene Mindestmengen, aber sie waren trotzdem nicht defizität an Mikronährstoffen: Wenn Magnesium fehlte, bekamen sie Appetit auf magnesiumhaltige Nahrungsmittel. Wenn zu viel Salz oder Kalium im Körper war, bekamen sie Durst und die Nieren schieden die überschüssigen Mengen aus. Appetit/Hunger gleicht Mängel aus, Überschüsse werden ausgeschieden. Das funktioniert nicht immer: Bei Zucker ist ein „je mehr, desto besser“ evolutionär fest verdrahtet. Die Menschen mit den dicksten Fettpolstern verhungern zuletzt im Winter. Aber bei den vielen Nährstoffen, die eine U-förmige Optimalverteilung haben (zuviel und zuwenig ist beides schlecht) dürfte die Regulierung so funktionieren.

Dies würde einiges erklären: Menschen mit Mikronähstoffmangel sind (auch) deshalb dick, weil sie viel mehr essen als sie von der Energiebilanz brauchen. Der Körper will nicht nur den Bedarf an Zucker oder Fett, sondern auch an Vitaminen decken. Anders herum scheitern deshalb Diäten: Viele populäre Diäten zur Gewichtsabnahme sind defizitär in vielen Mikronährstoffen. In den ersten Wochen fällt dies nicht weiter auf. Aber je länger wir die Diät einhalten, desto stärker signalisiert unser Gehirn: Wir brauchen mehr! Wir bekommen Heißhunger und essen mehr, als wir zur Deckung unseres Energiebedarfes benötigen — wir bauen Fettpolster auf. Dies mag bei einer zeitlich begrenzten Diät, die man nur für 2 Wochen einhalten muss, nicht weiter stören. Aber es ist ein fatales Problem in Ernährungen, die man langfristig einhalten will.

Kurze Studien: Ab in die Tonne!

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis: Studien zur Ernährung sollten die ersten 1-2 Monate ignorieren. Saubere Ergebnisse erhält man, wenn man die Teilnehmer über 2 Monate auf die neue Ernährung einstellt, und die Veränderungen danach betrachtet. Die Ergebnisse kürzerer Studien können bestenfalls Prozesse im Umstellungsprozess auf eine anderen Zusammensetzung der Nahrung untersuchen.

Die andere Lektion, die in dieser Geschichte versteckt ist: Wenn wir die erwarteten Ergebnisse bekommen, dann bestätigt das unser Weltbild. Aber wenn ein Ergebnis nicht so ist wie wir es erwartet haben (die Low-Carb-Fraktion verlor weniger Fett), dann gewinnen wir neue Erkenntnisse: Ein genaueres Hinsehen lohnt sich. (Hätten sich die Autoren doch diese Mühe gemacht!)

Das Kohlenhydrat-Insulin-Modell wird durch diese Studie keinesfalls widerlegt. Und ich habe wieder etwas verstanden, was mir vor dem Lesen der Studie nicht klar war. Meine Welt ist gerade heil 🙂

Bleibt gesund, haltet die Abstandsregeln ein, und vermeidet unnötige Kontakte.

Der seltsame Fall der Corona-Sterblichkeit

Zu Corona-Zeiten besteht die Gefahr, dass ein Blog-Eintrag innerhalb weniger Tage veraltet ist. Dennoch warte ich seit Wochen darauf, dass eine COVID-19-Besonderheit in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Die Verteilung der Sterblichkeit.

Europa in der Krise

Aber vorab muss ich ausnahmsweise ein politisches Thema aufgreifen.
Der Zerfall Europas muss alle Demokraten mit größter Sorge erfüllen. Die meisten weniger betroffenen Länder reagieren spontan mit Bestandssicherung. Anstelle anderen Ländern zu helfen, werden die eigenen Behandlungskapazitäten und Reserven aufgestockt, selbst wenn sie ungenutzt bleiben. Von einem gemeinsamen, koordinierten Handeln z.B. bei den Ausgangsbeschränkungen keine Spur. Dies ist kein vereintes Europa. Menschen helfen sich gegenseitig in der Not, das ist das Wesen einer Gemeinschaft.

Unzweifelhaft befinden wir uns in einem moralischen Dilemma, wenn ein Land wie die USA geradezu mutwillig Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verweigert und damit unzählige Bürger umbringt. Dies gilt aber keinesfalls für die europäischen Länder, die von der Krise überrollt wurden. Italien und Spanien traf die Krankeit nur zuerst.

Ungewöhnliche Mortalität

Zurück zur Medizin. Mich überrascht, dass das die sehr spezifische Todesfallrate von Corona so wenig beachtet wird. COVID-19 tötet fast ausschließlich ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, mit einem sehr extremen Anstieg der Sterblichkeit. Nehmen wir die Menschen mittleren Alters als Basis (40-49jährig), die ein Risiko von ca. 0,4% haben. Das Risiko im Alter 70-79 liegt zwischen 5% und 12%, bei, Alter 80+ bei 14%-20% (je nach Untersuchung). Das Risiko für alte Menschen ist damit um Faktor 12 bis 50 größer als in der mittleren Altersgruppe. Bei Jugendlichen und Kindern gibt es weltweit nur wenige Einzelfälle, in denen die Patienten verstarb.

Dies ist grundverschieden von anderen Viren:

  • SARS-1 (2003-2005) hatte ein Sterblichkeitsprofil, das ähnlich dem Coronavirus war. Allerdings war der Unterschied in den Altersgruppen bei weitem nicht so extrem: Lediglich Patienten unter 30 Jahren waren mit 0,9% nur gering betroffen. Die Sterbichkeit stieg für Alter 40-49 auf 5% und lag für 50-59 schon bei 10%. In der höchsten Altersgruppe lag die Sterblichkeit bei 28% oder weniger. Das Risiko alter Menschen war damit nur (nur?) rund 6-mal größer als in der Referenzgruppe.
  • Die spanische Grippe, die ähnlich wie COVID-19 eine Autoimmunreaktion (Zytokinsturm) auslöst, war bekannt dafür, vor allem junge Menschen im Alter von 20-40 Jahren zu töten.
  • Bei der üblichen Influenza gelten junge Kinder als Risikogruppe.
  • Ebola hat zwar eine geringere Mortalität für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, diese liegt aber immer noch über 50%, während 75% der älteren Patienten sterben.

Es kursieren zwei dominierende, widersprüchliche Erklärungen, und beide sind falsch:

  • Nein, ein besonders gutes/aktives Immunsystem ist kein Risikofaktor. Wäre dies der Fall, dann müsste die Mortalitätsrate in der Altersgruppe 20-40 sehr viel höher sein.
  • Nein, ein schwaches Immunsystem ist ebenfalls kein Risikofaktor. Wäre dies der Fall, müsste die Mortalitätsrate von kleinen Kindern sehr viel höher sein.

In Low-Carb-Kreisen wird seit Wochen spekuliert, dass eine schlechte Blutzuckerkontrolle entscheidend für schwere COVID-19-Verläufe sein könnten. Dies erfolgte lange Zeit ohne wissenschaftliche Basis, deshalb habe ich es hier auch nicht kommentiert: Natürlich war der Anteil der Diabetiker mit über 30% unter den Toten hoch, aber nicht viel höher als eine relativ zufällige Bevölkerungsgruppe im Rentenalter (die Diabetes-Rate liegt hier bei rund 25%). Dieser Tage gibt es aber doch einen schlüssige Vermutung, wenngleich noch ohne Veröffentlichung: Eine häufige Todesursache bei Corona sind Lungenembolien, bei denen die Arterien der Lungen blockiert sind. Diese Blockaden sind atherosklerotische Plaques, die sich lösen und an anderer Stelle eine Blockade verursachen, die man im Herzen als Herzinfarkt und im Gehirn als Schlaganfall bezeichnet. Der „Lancet“ führt aus, dass die Endothelzellen (die innere Schicht von Blutgefäßen) besonders von COVID-19 geschädigt werden. Schäden an dieser Schicht führen zu atherosklerotischen Plaques.

Corona vs. Atherosklerose

Dies passt zur beobachteten Mortalität. Die Entstehung von Atherosklerose ist einer der wenigen Prozesse, die über viele Jahrzehnte schleichend erfolgt und die in üblichen Gesundheitstests nicht erkennbar ist. Eine genaue Risikoeinschätzung für ein Individuum haben wir nicht, am nähesten kommen sogenannte CAC-Scans, die den Gehalt von Calcium-Plaques im Herzen messen. Dabei gibt es ein klares Muster: Der Calcium-Score ist fast immer mit zunehmenden Alter ansteigend, und auch Menschen ohne diagnostizierte Vorerkrankungen werden durch den CAC-Scan oft in eine Hochrisikogruppe eingeordnet. Die Corona-Sterblichkeit korreliert nahezu perfekt mit der Verteilung der CAC-Scores nach Alter: Minimal unter 40-50, dann aber schnell ansteigend. Bei Diabetikern deutlich erhöht gegenüber Nicht-Diabetikern.

Corona könnte dazu führen, dass sich eine bereits bestehende Plaquebildung vor allem in den Lungen beschleunigt. Die Plaques behindern den Blutfluss und damit den Sauerstofftransport, und bei schweren Verläufen kommt es zur Embolie. Corona betrifft möglicherweise die Menschen am schwersten, die das höchste Atherosklerose-Risiko haben.

Zudem könnte dies erklären, weshalb Intubation (künstliche Beatmung) zu einer höheren Todesrate führt: Diese Patienten bewegen sich weniger, und haben eine höhere Wahrscheinlichkeiten für Embolien.

Wie kann man vorbeugen? Die schlechte Nachricht ist, dass es keine kurzfristigen Maßnahmen gibt. Es gibt nur wenige anektdotische Fälle, in denen atherosklerotische Plaques (die CAC-Scores) verringert werden konnte. Dies dauerte Jahre, und es ist unklar, ob eine solche Verringerung eines synthetischen Werts mit einer Verringerung des Risikos für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Embolien korreliert. Dagegen gibt es viele Fallberichte, in denen Menschen die Progression der Plaquebildung gestoppt haben: Strenge Blutzuckerkontrolle über kohlenhydratarme oder ketogene Ernährung, als Richtwert sollte der Blutzucker 1-2 Stunden nach Mahlzeiten nicht über 120 ansteigen. Dies, verbunden mit sorgfältiger Auswahl gesunder Nahrungsmittel und ggf. Substition einiger Mikronährstoffe, können eine Bildung neuer Plaques verhindern. Besonders die Versorgung mit Vitamin D3 sowie K2 wird hier oft hervorgehoben (gute Podcasts zu Calcium-Plaques und Vitamin D3 findet man etwa bei Ivor Cummings — dessen Corona-Podcasts ich allerdings eher kritisch betrachte), da diese Vitamine nicht nur entzündungshemmend, sondern auch wichtig für den Calcium-Stoffwechsel sind.

Kurzfristig bleiben nur Isolation und das Tragen von Masken, eine gute Versorgung mit Mikronährstoffen (z.B. Vitamine B12/C/D/E/K2, Magnesium, Folat, Alpha-Liponsäure) sowie die üblichen Maßnahmen zur Immunsystemstärkung: Genug Schlaf, genug Bewegung und Sonnenlicht, sowie natürlich gesunde Ernährung. Und es ist nie zu spät, mit der Glukosekontrolle zu beginnen.

Bleibt gesund, und haltet Abstand!

#flattenthecurve #stayathome

Auf der Suche nach der Insulinresistenz (2): Glykogenese

Im letzten Blog-Artikel diskutierte ich die Entstehung von Insulinresistenz. In der Fortsetzung werden wir sehen, dass nicht nur hohe Glukose- und Fruktosespiegel, sondern höchstwahrscheinlich auch Omega-6-Fettsäuren (mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die in vielen preiswerten Pflanzenölen wie Sonnenblumenöl enthalten sind) das metabolische Syndrom auslösen. Dies erklärt die Explosion der verschiedenen Zivilisationskrankheiten, insbesondere Diabetes, in den letzten 40-50 Jahren, die nahezu perfekt mit dem Konsum von Omega-6-Fetten korreliert.

Erinnern wir uns: Vergleichen wir die Muskelzellen mit einem Koffer, der durch ein Schloss gesichert ist. Insulin der Schlüssel, mit dem das Schloss der Zelle aufgeschlossen wird, und durch die offene Tür können unsere T-Shirts (die Glukose) in den Koffer (die Zelle). Unter „Insulinresistenz“ versteht man im Allgemeinen, dass der Schlüssel nicht mehr funktioniert, egal aus welchem Grund. Eine Blockade der Rezeptoren durch Fremdstoffe entspräche einem Kaugummi im Schloss. Toleranz entspricht Verschleiß, das Schloss ist durch die viele Benutzung abgenutzt und wir der Schlüssel schließt nicht immer. Aber sind wirklich Schlüssel oder Schloss unseres Koffers defekt? Ist der Koffer vielleicht einfach nur voll oder gefüllt mit Müll, so dass unsere T-Shirts nicht rein passen?

Eine alternative Erklärung ist, dass Insulinresistenz gar nicht das Problem ist. Wir beobachten vor allem, dass die Glukose nicht mehr über die Muskelzellen abgebaut wird, was zu hoher Fettproduktion als einzigem verbleibenden Mechanismus zum Glukoseabbau führt. Nehmen wir für einen Moment an, dass unser Schlüssel Insulin prinzipiell funktioniert und das Schloss aufschließt, aber die Glukose trotzdem nicht von der Muskelzelle aufgenommen wird. (Dies erklärt die beobachtete Insulinsensitivität der anderen Zellen.) Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten: Fung argumentiert dass die Muskelzellen schlichtweg voll sein könnten und keine Glukose mehr aufnehmen. (Schloss und Schlüssel des Koffers sind in Ordnung, der Koffer ist aber so vollgestopft dass nichts mehr reinpasst.) Diese Annahme würde aber bedeuteten dass eine längere Glukose-Abstinenz, bei der die Zellen „leer“ laufen, sofort die Insulinsensitivität wiederherstellt, und dies widerspricht unseren Beobachtungen: Selbst beim Fasten oder bei ketogener Ernährung bleiben die Nüchtern-Insulinspiegel für mindestens einige Monate weit über den Normalwerten, und auch kleine Kohlenhydratmengen lösen die übliche hohe Insulinantwort aus.

Glykogen und Glykogenese

Eine Überfüllung der Muskelzellen ist aber nicht die einzige Möglichkeit, warum sie nur noch wenig Glukose aufnehmen. Eine Alternative ist eine Blockade der Glykogenese, bei der Glukose in Glykogen umgewandelt wird, oder der Glykogenverwertung. Aber was ist Glykogen eigentlich? Da Glukose toxisch wirkt, wird sie im Körper in das harmlose Glykogen umgewandelt, das sich bei Bedarf mühelos wieder zu Glukose umwandeln lässt. Wir gehen von bis zu 500g Glykogen in den Muskeln und 100g Glykogen in der Leber aus, was unseren Energiebedarf für ca. 2 Tage decken kann. Glukose aus dem Blut diffundiert in die Zelle und wird dort zu Glykogen umgewandelt. Insulin schließt nicht einfach nur den Koffer auf, sondern aktiviert die Glykogen-Synthese. (Die unordentlichen T-Shirts werden nicht nur in den Koffer gestopft sondern auch fein säuberlich zusammengefaltet, so dass viel mehr in den Koffer passt als wenn er von meinem Töchterchen gepackt würde.) Bei einem gesunden Menschen kann deshalb eine große Portion Nudeln genug Energie für den ganzen Tag geben: Die Kohlenhydrate werden zwar vom Magen innerhalb kurzer Zeit in Glukose aufgebrochen und in das Blut geschleust, dort aber von den Muskeln in Glykogen umgewandelt und gespeichert. So dient die Glukose über die folgenden Tage verteilt als Energiespender. Der Glukosespiegel im Blut ist nach ca. 2 Stunden fast wieder im Normbereich.

Eine Behinderung der Glykogenese führt dazu, dass die Muskelzellen nur noch sehr wenig Glukose speichern. Von „außen“ sieht dies genauso aus wie die vermutete Toleranzentwicklung: Die Glukose geht nicht mehr in die Zellen. Aber für die Therapie bzw. Krankheitsentstehung ist dieser Unterschied sehr wichtig: Bei Toleranz ist die einzig sinnvolle Therapie ein konstant niedriger Insulinspiegel über eine ketogene Ernährung, und die Hoffnung dass sich die Sensitivität mit der Zeit wieder herstellt. Bei einer Behinderung der Glykogenese ist die ketogene Ernährung natürlich auch eine Lösung des Problems. Aber wenn sie durch externe Faktoren zustande kommt, müssen diese unabhängig davon gefunden und beseitigt werden. Diese Überlegungen sind also nicht nur theoretisch, sondern haben handfeste Auswirkungen auf die Therapie.#

Symptome einer gestörten Glykogenese

Die Glykogenese ist bekanntermaßen bei Diabetes stark beeinträchtigt und wird teilweise als Hauptmechanismus von Insulinresistenz angesehen. Eine Glykogenese-Behinderung (Glykogen wird gar nicht oder nur bei hohen Insulinspiegeln gebildet) erklärt viele Beobachtungen erstaunlich gut:

  • Bei niedrigeren Insulinspiegeln wird die Glukose nicht von den Muskelzellen aufgenommen. Der Glukosespiegel steigt deshalb stark an und sorgt für einen hohen Insulinausstoß, der zwar die Glygogenese aktiviert, aber die Glukose gleichzeitig verstärkt über Umwandlung in Triglyzeride aus dem Blut entfernt. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Glukose direkt in die Fettzellen geht und nicht als Energie zur Verfügung steht, so dass wir größere Portionen essen müssen um den Energiebedarf der Muskeln zu decken.
  • Nach Absinken des Glukosespiegels im Blut haben die Muskeln keine Energie mehr, da die Glykogenspeicher leer oder blockiert sind. Ca. 2-3 Stunden nach der Mahlzeit sinkt der Glukosespiegel unter den Normbereich, der Patient unterzuckert und muss schleunigst Glukose zuführen.
  • Um dies auszugleichen, wird die Gluconeogenese aktiviert, bei der Protein in Glukose umgewandelt wird. Evolutionär ist sie dazu da, bei ketogener Ernährung ein wenig Glukose bereitzustellen um die wenigen Zellen zu versorgen die keine Mitochondrien enthalten, deshalb keine Ketone verbrennen können und auf Glukose angewiesen sind, wie die roten Blutkörperchen. In diesem Modus kommt nahezu die gesamte Energie aus Ketonen, und nur ein kleiner Teil des Bedarfs wird über Glukose via Gluconeogenese gedeckt. Die hohen Insulinspiegel von (Prä)Diabetikern blockieren allerdings die Ketonbildung, so dass die Gluconeogenese als einizige Energiequelle bleibt – und der Energiebedarf des gesamten Körpers kann bei weitem nicht gedeckt werden. Dies erklärt, warum bei Diabetikern eine durchgehend starke Gluconeogenese beobachtet und medikamentös verhindert wird (z.B. Metformin).
  • Eine hohe Dosis Insulin, wie sie bei Diabetikern gespritzt wird, löst das Problem für eine Weile.

Insulinresistenz und Omega-6-Fettsäuren

Die Behinderung der Glykogenese erscheint also sehr passend als Ursache der Insulinresistenz. Können wir auch eine Verbindung zu pflanzlichen Ölen herstellen? Die preiswerteren Pflanzenöle wie Sonnenblumenöl bestehen vor allem aus Linolsäure, einer mehrfach ungesättigten Omega-6 Fettsäure (n-6 PUFA, für „omega-6 polyunsaturated fatty acids“), die in tierischen Fetten nur in kleinen Mengen vorkommt. Calcium (genauer cAMP) blockiert die Glykogenese, und n-6 PUFAs verändern den Calciumhaushalt. Zudem aktivieren n-6 PUFAs das Immunsystem und verursachen oxidativen Stress, sie verursachen also chronische Entzündungen, die wiederum mit Insulinresistenz assoziiert sind.

Die allgemein verbreitete Ansicht des Mainstreams dass Fettgewebe für Entzündungen sorgt darf man als isolierte Aussage kritisch hinterfragen. Fettgewebe ist evolutionär eine zwingend notwendige Energiereserve für den Winter, und es erscheint ausgeschlossen dass die Evolution uns so gebaut hat dass Fettgewebe uns krank macht. In Kombination mit n-6 PUFAs (die unsere Vorfahren kaum konsumierten) ergibt sich aber ein ganz anderes Bild: Je mehr Pflanzenöle wir essen, desto mehr n-6 PUFAs befinden sich in unserem Fettgewebe, rund ein Viertel des gespeicherten Fetts eines durchschnittlichen Amerikaners ist heutzutage Linolsäure. Diese gespeicherten Fette sorgen für chronische Entzündungen, selbst wenn wir unsere Ernährung ändern. Dies erklärt auch die langsame Normalisierung der Insulinresistenz bei übergewichtigen Menschen, wenn sie auf eine ketogene Ernährung umsteigen: Die in den Fettzellen gespeicherte Linolsäure wird über Monate und Jahre hinweg langsam verbrannt. Dieser Prozess endet erst nach Jahren, wenn die Fettspeicher abgebaut sind und sich das Gewicht normalisiert hat.

Setzen wir jetzt das Puzzle zusammen. Omega-6-Fette sammeln sich in unserem Körper an und sorgen für chronische Entzündungen. Zudem stören sie die Glykogenese, was einerseits zu höheren Glukosespiegeln und mehr Insulin führt, andererseits dafür sorgt dass wir nicht so schnell satt bzw. nach einer Mahlzeit schnell wieder hungrig werden. Oder ganz pragmatisch: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind Brandbeschleuniger für das metabolische Syndrom.

Welcher Mechanismus ist nun dominant? Dies mag individuell verschieden sein. Bei manchen Menschen besteht systemweite Insulinresistenz, bei anderen Menschen ist die Glykogenese gestört. Eine Behandlung des metabolischen Syndroms über Wiederherstellung der Insulinsensitivität erfordert zwei Maßnahmen: Einerseits müssen die Insulinspiegel niedrig gehalten werden, andererseits muss der Konsum von Omega-6-PUFAs möglichst vermieden werden. Dies beinhaltet eine Auswahl von Fetten und Ölen, die nur wenig Omega-6-PUFAs enthalten (tierische Fette, Kokosöl und Olivenöl) bzw. mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten als Omega-6-PUFAs (Leinöl).