Gute Vorsätze, und die Relevanz der Gesamtsterblichkeit

Jetzt ist die Zeit, wo man (und frau) sich gute Vorsätze für das nächste Jahr fasst. Viele werden sich Abnehmen mit „mehr Sport, weniger Essen“ vornehmen und scheitern. Ich habe dagegen einen sehr speziellen, abstrakten Weihnachtswunsch, dessen Erfüllung leider extrem unwahrscheinlich ist: Ich wünsche mir, dass eine sehr spezielle Bevölkerungsgruppe die richtigen Vorsätze fasst. Ich wünsche mir, dass Wissenschaftsredakteure großer Medien sich vornehmen, in Zukunft die Artikel zu lesen über die sie schreiben (und nicht nur abzuschreiben was eine Medienagentur berichtet, oder bestenfalls die Zusammenfassung zu überfliegen). Und ich wünsche mir, dass die Gesamtsterblichkeit die notwendige Aufmerksamkeit erfährt.

Zweifelhafte Ernährungswissenschaft

Schaut man in die Spalten der Ernährungswissenschaft, dann muss man kein Experte sein um festzustellen dass es hochgradig widersprüchliche Aussagen gibt, die teils wenige Tage nacheinander in den Schlagzeilen sind. Intervallfasten ist wahlweise ein Heilsbringer oder völlig nutzlos, veganes Essen ist wahlweise gesünder als Fleisch oder führt zu Mangelerscheinungen, Fleisch oder Eier sind wahlweise gesund oder schädlich, zum Abnehmen gibt 20 verschiedene Rezepte, die alle das einzig richtige sind.

Liebe Leute: Das ist grober Unfug und keine Wissenschaft. Ihr Redakteure macht euch lächerlich, wenn ihr jeden Tag etwas anderes schreibt. Fleisch kann nicht gleichzeitig gesund und ungesund sein.

Grundprinzipien der Wissenschaft

In der Wissenschaft erhalten wir dann reproduzierbare Ergebnisse, wenn wir den Testaufbau vernünftig machen. Überprüfe ich die Gesetze des elastischen Stoßes, beispielsweise mit Billiardkugeln auf einer glatten Oberfläche, dann werde ich immer exakt dieselben Ergebnisse erhalten. Schief geht es nur, wenn ich Orangen statt Billiardkugeln oder Strand statt eines glatten Tisches nehme.

Dies gilt auch in der Ernährungswissenschaft: Wenn ich ein gut durchdachtes Experiment in eine Studie gieße, dann werden die Ergebnisse reproduzierbar sein — wenn nicht, dann war das Experiment nicht gut durchdacht und ich habe im Aufbau oder bei der Auswahl der Probanden geschlampt. (Dasselbe Experiment mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen kann zu verschiedenen Ergebnissen führen.)

Nun wird die Ernährungswissenschaft leider gern als Demokratie aufgefasst und nicht als Wissenschaft. Wenn es Widersprüche gibt, dann werden sogenannte Metastudien gemacht, die dann genauso widersprüchlich sind (je nachdem welche Studien eingeschlossen werden). Was soll das bringen? Wenn zu einer bestimmten Frage („Führen zuckerhaltige Getränke zu Übergewicht?“) 26 von 60 Studien keinen Zusammenhang sehen während 34 Studien die Frage mit „ja“ beantworten (wie eine Literaturrecherche von 2016 ergibt), dann ist es keine Lösung noch weitere 60 Studien zu machen und auf eine klare Mehrheit für die eine oder andere Seite zu hoffen. Und auf keinen Fall „gewinnt“ die Seite mit mehr Studien. Nein, man sollte schon genau hinschauen wie sich die Studien unterscheiden und warum sie zu verschiedenen Ergebnissen kommen. (Ein offensichtlicher Unterschied, wie in der vorliegenden Analyse herausgearbeitet, war die Finanzierung. 25 der 26 zuckerfreundlichen Studien wurden von der Zuckerindustrie finanziert, während nur 1 der 34 zuckerkritischen Studien diese Verbindung hatte. Was natürlich nicht die entscheidende Frage beantwortet: „Warum kommen die Studien zu verschiedenen Ergebnissen?“)

Gesunder Menschenverstand

Des Pudels Kern ist oft die Frage was man als „gesund“ interpretiert. In meiner Welt ist „gesund“, wenn Menschen länger leben und seltener krank werden. Kürzer: Die Gesamtsterblichkeit muss sinken. In der Ernährungswissenschaft wird dagegen erstaunlich oft untersucht, ob einzelne Parameter sich verändern: Nahezu universell wird etwas als „gesund“ bewertet, wenn durch eine Intervention ein einzelner Parameter wie z.B. Cholesterin oder C-reaktives Protein sinkt. Die Gesamtsterblichkeit wird meist ignoriert.

Der einzige Grund weshalb z.B. mehrfach ungesättigte Fettsäuren (überwiegend aus Omega-6, der Hauptbestandtteil in Rapsöl, Sonnenblumenöl und anderen Ölen die aus Getreide oder Mais gewonnen werden) als gesund eingeschätzt werden ist eine Cholesterinsenkung. Dabei ist inzwischen unstrittig dass selbst das vermeintlich „böse“ LDL-Cholesterin nicht zu Herzinfarkten führt (vgl. zum Beispiel diese umfassende Literatursuche). Ganz im Gegenteil: Erhöhte Cholesterinwerte führen statistisch zu einem längeren Leben (vgl. etwa das systematische Review von Ravnskov, Diamond und anderen). Umgekehrt wird also ein Schuh daraus: Eine Vermeidung von Omega-6-Fettsäuren ist gesund.

Beobachtende Studien

Andere Studien ergeben unsinnige Ergebnisse, weil ein statistischer Zusammenhang falsch interpretiert wird. Aus einer Korrelation (zwei Werte hängen zusammen) wird eine falsche Ursache-Wirkung-Beziehung konstruiert. Ein hypothetisches Beispiel: Eine beobachtende Studie könnte beispielsweise ergeben, dass Menschen nach Eiskonsum häufiger ertrinken. Dabei hat das nichts mit dem Eis zu tun: Menschen schwimmen vor allem bei warmen Wetter, und bei warmen Wetter wird mehr Eis konsumiert. Es gibt eine Korrelation (wenn viel Eis gegessen wird dann ist es warm, mehr Menschen schwimmen und mehr Menschen ertrinken), aber keinen ursächlichen Zusammenhang.

Genau diese Fehler werden oft bei ernährungswissenschaftlichen Studien gemacht. So behauptet z.B. eine Studie im renommierten „Lancet“, dass Kohlenhydratreduktion angeblich zu erhöhter Sterblichkeit führe. Die Studie hat zahlreiche systematische Fehler und hätte niemals einen wissenschaftlichen Review-Prozess bestehen dürfen. (Eine prägnant kurze Aufstellung dieser Fehler kann man z.B. im Kommentar von Zoe Harcombe nachlesen.) Um nur ein Problem herauszunehmen: Kohlenhydratarme Ernährungsformen widersprechen den üblichen Ernährungsempfehlungen und werden vor allem von Menschen eingesetzt die ihre gesundheitlichen Probleme nicht mit einer ernährungspyramidenkonformen Ernährung lösen können. Wer ketogen isst, der tut das mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund von bestehenden Krankheiten. Ergo sind Menschen mit ketogener Ernährung mit höherer Wahrscheinlichkeit krank als Menschen mit westlicher Ernährung (denn warum würden sie sonst ketogen essen). Daraus kann man aber nicht schlussfolgern dass die ketogene Ernährung Schuld an der Krankheit ist!

Beobachtende Studien sollte man generell mit Skepsis betrachten. Eine Untersuchung kam 2011 zu dem Ergebnis „Any claim coming from an observational study is most likely to be wrong.“ (Beobachtende Studien liefern meistens ein falsches Ergebnis). Die Mehrheit der Ergebnisse von beobachtenden Studien wird später revidiert –die Ursachen sind vielfältig, aber oft wurde fälschlich eine kausale Beziehung angenommen obwohl es nur eine Korrelation gab. Und leider ist die Mehrheit der ernährungswissenschaftlichen Studien beobachtend, da Interventionsstudien mit den benötigten hohen Teilnehmerzahlen extrem aufwendig und teuer sind, und deshalb selten durchgeführt werden.

Gesamtsterblichkeit im Fokus

Die zahlreichen Widersprüche der Ernährungswissenschaft lösen sich auf wenn Studien sauber entworfen sind. Gute Studien betrachten die Gesamtsterblichkeit gemeinsam mit Laborparametern, und sind vorsichtig bei der Interpretation von statistischen Korrelationen.

Liebe Wissenschaftsredakteure, ich bitte euch: Lest die Studien über die ihr berichtet, schaut zumindest in den Abschnitt „Methoden“. Und wenn es beobachtende Studien sind oder der Begriff „Gesamtsterblichkeit“ nicht vorkommt dann ist höchste Skepsis angebracht.

Gesamtsterblichkeit ist wichtiger als ein Cholesterinspiegel.