Auf der Suche nach der Insulinresistenz (2): Glykogenese

Im letzten Blog-Artikel diskutierte ich die Entstehung von Insulinresistenz. In der Fortsetzung werden wir sehen, dass nicht nur hohe Glukose- und Fruktosespiegel, sondern höchstwahrscheinlich auch Omega-6-Fettsäuren (mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die in vielen preiswerten Pflanzenölen wie Sonnenblumenöl enthalten sind) das metabolische Syndrom auslösen. Dies erklärt die Explosion der verschiedenen Zivilisationskrankheiten, insbesondere Diabetes, in den letzten 40-50 Jahren, die nahezu perfekt mit dem Konsum von Omega-6-Fetten korreliert.

Erinnern wir uns: Vergleichen wir die Muskelzellen mit einem Koffer, der durch ein Schloss gesichert ist. Insulin der Schlüssel, mit dem das Schloss der Zelle aufgeschlossen wird, und durch die offene Tür können unsere T-Shirts (die Glukose) in den Koffer (die Zelle). Unter „Insulinresistenz“ versteht man im Allgemeinen, dass der Schlüssel nicht mehr funktioniert, egal aus welchem Grund. Eine Blockade der Rezeptoren durch Fremdstoffe entspräche einem Kaugummi im Schloss. Toleranz entspricht Verschleiß, das Schloss ist durch die viele Benutzung abgenutzt und wir der Schlüssel schließt nicht immer. Aber sind wirklich Schlüssel oder Schloss unseres Koffers defekt? Ist der Koffer vielleicht einfach nur voll oder gefüllt mit Müll, so dass unsere T-Shirts nicht rein passen?

Eine alternative Erklärung ist, dass Insulinresistenz gar nicht das Problem ist. Wir beobachten vor allem, dass die Glukose nicht mehr über die Muskelzellen abgebaut wird, was zu hoher Fettproduktion als einzigem verbleibenden Mechanismus zum Glukoseabbau führt. Nehmen wir für einen Moment an, dass unser Schlüssel Insulin prinzipiell funktioniert und das Schloss aufschließt, aber die Glukose trotzdem nicht von der Muskelzelle aufgenommen wird. (Dies erklärt die beobachtete Insulinsensitivität der anderen Zellen.) Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten: Fung argumentiert dass die Muskelzellen schlichtweg voll sein könnten und keine Glukose mehr aufnehmen. (Schloss und Schlüssel des Koffers sind in Ordnung, der Koffer ist aber so vollgestopft dass nichts mehr reinpasst.) Diese Annahme würde aber bedeuteten dass eine längere Glukose-Abstinenz, bei der die Zellen „leer“ laufen, sofort die Insulinsensitivität wiederherstellt, und dies widerspricht unseren Beobachtungen: Selbst beim Fasten oder bei ketogener Ernährung bleiben die Nüchtern-Insulinspiegel für mindestens einige Monate weit über den Normalwerten, und auch kleine Kohlenhydratmengen lösen die übliche hohe Insulinantwort aus.

Glykogen und Glykogenese

Eine Überfüllung der Muskelzellen ist aber nicht die einzige Möglichkeit, warum sie nur noch wenig Glukose aufnehmen. Eine Alternative ist eine Blockade der Glykogenese, bei der Glukose in Glykogen umgewandelt wird, oder der Glykogenverwertung. Aber was ist Glykogen eigentlich? Da Glukose toxisch wirkt, wird sie im Körper in das harmlose Glykogen umgewandelt, das sich bei Bedarf mühelos wieder zu Glukose umwandeln lässt. Wir gehen von bis zu 500g Glykogen in den Muskeln und 100g Glykogen in der Leber aus, was unseren Energiebedarf für ca. 2 Tage decken kann. Glukose aus dem Blut diffundiert in die Zelle und wird dort zu Glykogen umgewandelt. Insulin schließt nicht einfach nur den Koffer auf, sondern aktiviert die Glykogen-Synthese. (Die unordentlichen T-Shirts werden nicht nur in den Koffer gestopft sondern auch fein säuberlich zusammengefaltet, so dass viel mehr in den Koffer passt als wenn er von meinem Töchterchen gepackt würde.) Bei einem gesunden Menschen kann deshalb eine große Portion Nudeln genug Energie für den ganzen Tag geben: Die Kohlenhydrate werden zwar vom Magen innerhalb kurzer Zeit in Glukose aufgebrochen und in das Blut geschleust, dort aber von den Muskeln in Glykogen umgewandelt und gespeichert. So dient die Glukose über die folgenden Tage verteilt als Energiespender. Der Glukosespiegel im Blut ist nach ca. 2 Stunden fast wieder im Normbereich.

Eine Behinderung der Glykogenese führt dazu, dass die Muskelzellen nur noch sehr wenig Glukose speichern. Von „außen“ sieht dies genauso aus wie die vermutete Toleranzentwicklung: Die Glukose geht nicht mehr in die Zellen. Aber für die Therapie bzw. Krankheitsentstehung ist dieser Unterschied sehr wichtig: Bei Toleranz ist die einzig sinnvolle Therapie ein konstant niedriger Insulinspiegel über eine ketogene Ernährung, und die Hoffnung dass sich die Sensitivität mit der Zeit wieder herstellt. Bei einer Behinderung der Glykogenese ist die ketogene Ernährung natürlich auch eine Lösung des Problems. Aber wenn sie durch externe Faktoren zustande kommt, müssen diese unabhängig davon gefunden und beseitigt werden. Diese Überlegungen sind also nicht nur theoretisch, sondern haben handfeste Auswirkungen auf die Therapie.#

Symptome einer gestörten Glykogenese

Die Glykogenese ist bekanntermaßen bei Diabetes stark beeinträchtigt und wird teilweise als Hauptmechanismus von Insulinresistenz angesehen. Eine Glykogenese-Behinderung (Glykogen wird gar nicht oder nur bei hohen Insulinspiegeln gebildet) erklärt viele Beobachtungen erstaunlich gut:

  • Bei niedrigeren Insulinspiegeln wird die Glukose nicht von den Muskelzellen aufgenommen. Der Glukosespiegel steigt deshalb stark an und sorgt für einen hohen Insulinausstoß, der zwar die Glygogenese aktiviert, aber die Glukose gleichzeitig verstärkt über Umwandlung in Triglyzeride aus dem Blut entfernt. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Glukose direkt in die Fettzellen geht und nicht als Energie zur Verfügung steht, so dass wir größere Portionen essen müssen um den Energiebedarf der Muskeln zu decken.
  • Nach Absinken des Glukosespiegels im Blut haben die Muskeln keine Energie mehr, da die Glykogenspeicher leer oder blockiert sind. Ca. 2-3 Stunden nach der Mahlzeit sinkt der Glukosespiegel unter den Normbereich, der Patient unterzuckert und muss schleunigst Glukose zuführen.
  • Um dies auszugleichen, wird die Gluconeogenese aktiviert, bei der Protein in Glukose umgewandelt wird. Evolutionär ist sie dazu da, bei ketogener Ernährung ein wenig Glukose bereitzustellen um die wenigen Zellen zu versorgen die keine Mitochondrien enthalten, deshalb keine Ketone verbrennen können und auf Glukose angewiesen sind, wie die roten Blutkörperchen. In diesem Modus kommt nahezu die gesamte Energie aus Ketonen, und nur ein kleiner Teil des Bedarfs wird über Glukose via Gluconeogenese gedeckt. Die hohen Insulinspiegel von (Prä)Diabetikern blockieren allerdings die Ketonbildung, so dass die Gluconeogenese als einizige Energiequelle bleibt – und der Energiebedarf des gesamten Körpers kann bei weitem nicht gedeckt werden. Dies erklärt, warum bei Diabetikern eine durchgehend starke Gluconeogenese beobachtet und medikamentös verhindert wird (z.B. Metformin).
  • Eine hohe Dosis Insulin, wie sie bei Diabetikern gespritzt wird, löst das Problem für eine Weile.

Insulinresistenz und Omega-6-Fettsäuren

Die Behinderung der Glykogenese erscheint also sehr passend als Ursache der Insulinresistenz. Können wir auch eine Verbindung zu pflanzlichen Ölen herstellen? Die preiswerteren Pflanzenöle wie Sonnenblumenöl bestehen vor allem aus Linolsäure, einer mehrfach ungesättigten Omega-6 Fettsäure (n-6 PUFA, für „omega-6 polyunsaturated fatty acids“), die in tierischen Fetten nur in kleinen Mengen vorkommt. Calcium (genauer cAMP) blockiert die Glykogenese, und n-6 PUFAs verändern den Calciumhaushalt. Zudem aktivieren n-6 PUFAs das Immunsystem und verursachen oxidativen Stress, sie verursachen also chronische Entzündungen, die wiederum mit Insulinresistenz assoziiert sind.

Die allgemein verbreitete Ansicht des Mainstreams dass Fettgewebe für Entzündungen sorgt darf man als isolierte Aussage kritisch hinterfragen. Fettgewebe ist evolutionär eine zwingend notwendige Energiereserve für den Winter, und es erscheint ausgeschlossen dass die Evolution uns so gebaut hat dass Fettgewebe uns krank macht. In Kombination mit n-6 PUFAs (die unsere Vorfahren kaum konsumierten) ergibt sich aber ein ganz anderes Bild: Je mehr Pflanzenöle wir essen, desto mehr n-6 PUFAs befinden sich in unserem Fettgewebe, rund ein Viertel des gespeicherten Fetts eines durchschnittlichen Amerikaners ist heutzutage Linolsäure. Diese gespeicherten Fette sorgen für chronische Entzündungen, selbst wenn wir unsere Ernährung ändern. Dies erklärt auch die langsame Normalisierung der Insulinresistenz bei übergewichtigen Menschen, wenn sie auf eine ketogene Ernährung umsteigen: Die in den Fettzellen gespeicherte Linolsäure wird über Monate und Jahre hinweg langsam verbrannt. Dieser Prozess endet erst nach Jahren, wenn die Fettspeicher abgebaut sind und sich das Gewicht normalisiert hat.

Setzen wir jetzt das Puzzle zusammen. Omega-6-Fette sammeln sich in unserem Körper an und sorgen für chronische Entzündungen. Zudem stören sie die Glykogenese, was einerseits zu höheren Glukosespiegeln und mehr Insulin führt, andererseits dafür sorgt dass wir nicht so schnell satt bzw. nach einer Mahlzeit schnell wieder hungrig werden. Oder ganz pragmatisch: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind Brandbeschleuniger für das metabolische Syndrom.

Welcher Mechanismus ist nun dominant? Dies mag individuell verschieden sein. Bei manchen Menschen besteht systemweite Insulinresistenz, bei anderen Menschen ist die Glykogenese gestört. Eine Behandlung des metabolischen Syndroms über Wiederherstellung der Insulinsensitivität erfordert zwei Maßnahmen: Einerseits müssen die Insulinspiegel niedrig gehalten werden, andererseits muss der Konsum von Omega-6-PUFAs möglichst vermieden werden. Dies beinhaltet eine Auswahl von Fetten und Ölen, die nur wenig Omega-6-PUFAs enthalten (tierische Fette, Kokosöl und Olivenöl) bzw. mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten als Omega-6-PUFAs (Leinöl).